Fia die Betoerende
PROLOG
Manche sagten, Lady Fia Merrick sei schon als schlechter Mensch auf die Welt gekommen, während andere behaupteten, sie sei erst durch die Erziehung ihres Vaters dazu gemacht worden. Was auch immer der Fall war, allgemein herrschte die Meinung vor, dass es unausweichlich einmal ein schlimmes Ende mit ihr nehmen würde.
Schließlich hatte ihr berühmt-berüchtigter Vater Ronald Merrick, Earl of Carr, ihre Mutter, seine erste Frau, umgebracht. Nicht dass das kleine Mädchen je auch nur eine Ahnung davon gehabt hätte. Fia wusste bloß, dass sie an dem einen Tag eine liebevolle Mutter und zwei Brüder hatte und am anderen Tag nicht mehr.
Niemand kam, um es ihr zu erklären. In den nächsten Tagen war die Kinderfrau noch erschienen, zerfahren, eingeschüchtert und schweigsam, dann, eines Morgens nach einem tränenreichen Kuss, war auch sie verschwunden.
Oh gewiss, sie war nicht allein, ihr wurden Mahlzeiten gebracht, eine der weiblichen Bediensteten half ihr beim An-und Auskleiden, und eine lange Reihe austauschbarer Frauen kam, jeden Tag eine andere, um auf sie aufzupassen. Diese Aufgabe fiel in der Regel den jungen Dienstmägden zu, die meist kaum zehn Jahre älter als Fia selbst waren. Die erschöpften, verängstigten Mädchen pflegten sie in jene Winkel der weitläufigen Burg mitzunehmen, in denen sie ihren Aufgaben nachzugehen hatten. Sie setzten das kleine Mädchen auf den Boden und trugen ihm streng auf, sich weder zu rühren noch zu sprechen, während sie ihre Arbeit erledigten.
So kam es, dass Fia, die von Natur aus schon zurückhaltend war, noch stiller wurde. Sie folgte ihren Aufpasserinnen vorsichtig, beobachtete alles schweigend und wurde so zu einem stummen schwarzhaarigen Schatten ihrer Dienerinnen. Wenn man sie überhaupt bemerkte, dann geschah das meist überrascht, erschreckt und mit Argwohn. Da sie die Tochter des teuflischen Earls war, sahen die Diener ihr Schweigen als unnatürlich an, ohne sich je darüber klar zu werden, dass sie mit ihren unausgesprochenen und ausgesprochenen Drohungen, sie sich selbst zu überlassen, sollte sie sich störend bemerkbar machen, für ihr Verhalten verantwortlich waren. Denn es war Fias größte Sorge, eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass sie völlig allein war. Die Dienerschaft hatte zu große Angst vor ihrem Vater - und später auch vor ihr - , um sie in ihren Kreis aufzunehmen, die Gäste auf der Burg hatten kein Interesse an dem zierlichen, puppengleichen Geschöpf, und ihren Brüdern war es untersagt, sie zu sehen.
In der Zeit, in der andere Kinder das Alphabet, die Zahlen und alles, was man in ihrer Gesellschaftsschicht wissen sollte, von Lehrern, Gouvernanten, Geschwistern, Eltern und Freunden beigebracht bekamen, war Fia völlig sich selbst überlassen. Sie wusste nichts außer dem, was sie aus ihren Beobachtungen selbst gelernt hatte. Im Alter von sechs Jahren hatte Fia gelernt, sich Wissen anzueignen, wo auch immer sie es fand. Statt eines Klassenzimmers mit Büchern, Papier und Tinte war ihre Schule die Burg und Spielhölle, die überall unter dem Namen Wanton's Blush bekannt war.
Es hatte eine Zeit gegeben, als Wanton's Blush eine stolze und uneinnehmbare Inselfestung gewesen war, die einer ebenso stolzen wie dickköpfigen schottischen Familie gehörte, den McClairen. Dreihundert Jahre hatte die Burg als Maiden's Blush über den Felsen gethront.
Dann, zu Beginn der Regierung König Georgs II. wurde Ronald Merrick von seinen Gläubigem aus England gejagt und fand sich in Schottland auf Maiden's Blush wieder, als Gast von Ian McClairen, einem Mann, der so ehrenhaft und offenherzig wie Merrick hinterhältig und selbstsüchtig war.
Nun, Ronald Merrick mochte zwar vielleicht kein Geld haben, aber Charme und persönliche Ausstrahlung besaß er reichlich, und er nutzte beides, um seine wahre Natur vor seinem Gastgeber zu verbergen. Von einmalig gutem Aussehen und weltmännischem Auftreten, nahm er mühelos die auf der Burg lebenden Damen für sich ein. Unter seinen Eroberungen befand sich auch Janet McClairen, Ians junge Lieblingscousine.
Da er sie als eine reife Frucht ansah, die nur darauf wartete, gepflückt zu werden, heiratete Ronald die junge Frau. Die folgenden Jahre lebte er von der Großzügigkeit der McClairen, erlangte ihr Vertrauen und erfuhr zu ihrem immerwährenden Bedauern von ihrer geheimen Loyalität für die Jakobiten.
Nachdem die Jakobiten bei Culloden vernichtend geschlagen worden waren, sagte Ronald gegen die
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