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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sah den Start der Landegeräte. Um Mitternacht unter automatischer Kontrolle abgeschossen, flogen sie der Quinta entgegen, während der HERMES ihnen sein Hinterteil zukehrte und bis Sonnenaufgang beschleunigte: Um die 70
       Millionen Kilometer entfernte Sexta zu erreichen, brauchte er knapp achtzig Stunden bei hyperbolischer Geschwindigkeit. In den elektronischen Labors war bereits die Produktion der bei dem Erkundungsflug bisher nicht eingesetzten Disperten — „dispersive Diversanten“ — angelaufen, die auch Bienenaugen genannt wurden. Es waren Millionenschwärme mikroskopisch kleiner Kristalle; in einem Raum von einer Million Kubikmeilen vor der Sexta verteilt, sollten sie den Gesichtssinn des HERMES bilden, unsichtbare, ferne Augen, die von dem Raumschiff ausgestreut wurden. Auf der Erde dienten sie der Apikographie, Kristalle, die kleiner waren als ein Sandkorn, durchsichtige Nadeln, eine jede die Entsprechung eines Ommatidiums, eines Sehstäbchens des Insektenauges. Der HERMES zog diesen sehtüchtigen Schwanz hinter sich her, um sich hinter der Sexta zu bergen und von dort das Schicksal seiner computerisierten Gesandten zu verfolgen. Zugleich setzte das Raumschiff nach dem entsprechenden Abschnitt der Umlaufbahn Fernsehsonden mit starkstrahligem Antrieb aus, als seine „offiziellen Augen“
       sozusagen, die von den Quintanern bemerkt werden konnten oder sogar sollten.
       In der Steuerzentrale hatte zwar Tempe Dienst, aber Harrach hatte ihn unvermutet überfallen: Eine alte Zeitung hatte seinen Zorn erregt, dem er vor dem Kameraden Luft machen mußte. Das Blatt stammte aus der Zeit, als auf der Erde ein wütendes Gezänk über die Beteiligung von Frauen an der Expedition im Gange gewesen war.
       Zuerst las Harrach einen Absatz über das Familienleben vor, das seinen ihm zustehenden Platz innerhalb der Expedition einnehmen sollte, dann folgten Beschimpfungen, die Vertreterinnen des ewig unrechtmäßig behandelten weiblichen Geschlechts gegen das angeblich von einer Mafia der Männer beherrschte SETI ausstießen. Harrach steigerte sich dabei in eine solche Empörung, daß er sich anschickte, die Zeitung in Fetzen zu reißen.
       Tempe hielt ihm lachend die Hände fest — dieses Papier war im Sternbild der Harpyie immerhin eine Rarität, ein ehrwürdiges Dokument, von dem keiner wußte, wie es in Harrachs Gepäck geraten war. So jedenfalls behauptete er selbst. Tempe war anderer Meinung, behielt sie aber für sich. Harrach brauchte solche Artikel, um sein stürmisches Temperament abzureagieren. Der Blödsinn, der in jenem Verlangen nach Gleichberechtigung steckte, war allzu offensichtlich, als daß man ihn ernst nehmen konnte: Frauen, also Ehegattinnen, Mütter, also Kleinkinder, Kinderkrippe und Kindergarten, auf einem Raumschiff, das mit aufgeladenen Sideratoren dahinjagte und bei all seiner Stärke ein Nichts war gegen die fremde Zivilisation, die es mit ihrer seit Jahrhunderten m den Kosmos getragenen Sphäromachie an sich gesogen hatte! Ein Meer von Druckerschwärze war darüber vergossen worden. Die Moslems hatten zwölfjährige Jungen an die Front geschickt, aber keine Kinder, die noch in der Wiege lagen. Harrach bedauerte unendlich, der Verfasserin all dieses Blödsinns nicht sogleich unter vier Augen begreiflich machen zu können, was er von ihr hielt. Tempe saß wieder vor dem Steuerpult, prüfte den Kurs und die über die Monitore flimmernden Umrisse der sich bereits vergrößernden Sichel der Sexta, schielte hin und wieder zu Harrach, der seinen einzigen Zuhörer unverdrossen mit seinen Tiraden bombardierte, und sagte nichts — er wollte kein Öl ins Feuer gießen, zumal sie ja nicht allein waren: Auch im Steuerraum wachte GOD. Tempe kannte sich im Bau von Computern nicht so weit aus, um die Gewißheit zu haben, daß eine Maschine, die so scharfsinnig, intelligent und erinnerungsfähig war, nicht doch auch ein Fünkchen Persönlichkeit besaß. Die Versicherungen der Fachbücher und Fachleute genügten ihm nicht, er hätte sich gern selber vergewissern wollen, wußte aber nicht, wie. Außerdem hatte er wichtigere Probleme. War Nakamura tatsächlich imstande, mit Pater Arago mitzufühlen? Tempe schauderte allein bei dem Gedanken, er könnte in der Haut des Apostolischen Gesandten stecken.
       Arago war inzwischen, den Anweisungen des Kommandanten folgend, mit Gerbert bei der Prüfung der Möglichkeit, ob die Quintaner durch die Untersuchung der Landefähren m den Stand

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