Fiasko
gleißte von unbegreiflichen Apparaten, vergebens suchte man die geschützähnliche Anlage des Reflektors, das Teleskop vertrauter Konstruktion oder selbst die Kuppel mit der Öffnung zur visuellen Himmelsbeobachtung. Der hohe Raum schien menschenleer, war aber von Lampengirlanden erhellt, die sich an schmalen, durch die Säulen der Geräte verbundenen Galerien rings um die Wände zogen.
Als er von diesem mißlungenen Ausflug in seine Kajüte zurückkam, bemerkte er auf dem Tisch ein altes, zerlesenes Buch mit einem Zettel von Gerbert, der ihm diese Schlaflektüre geliehen hatte. Der Arzt war bekannt dafür, daß er eine Menge Bücher phantastischen Inhalts an Bord geschleppt hatte, die er auch dem berauschendsten holovisuellen Spektakel vorzog.
Der Anblick des Buches bereitete dem Beschenkten Rührung. So lange war er nun wieder unter den Sternen, so lange hatte er sie nicht gesehen, und was noch schlimmer war, er verstand den Menschen nicht näherzukommen, die ihm die neue Reise gestiftet hatten — zusammen mit einem neuen Leben. Seine Kajüte hatte man ihm eingerichtet, wie er es gewünscht hatte: halb wie auf einem Hochseeschiff, halb wie den Wohnraum von Steuermann oder Navigator in einer alten Transportrakete, ganz anders als eine Passagierkabine also, denn das war nicht der Ort eines zeitweiligen Aufenthalts wie im Hotel, sondern ein Zuhause. Er hatte sogar zwei Kojen übereinander. Auf der oberen legte er gewöhnlich die Kleidung ab, wenn er sich auszog. Jetzt knipste er am Kopfende der unteren die Lampe an, zog die Decke über die Beine und schlug — mit dem Gedanken, nun sündige er wieder durch Untätigkeit und Faulheit, aber vielleicht schon zum letztenmal — das Buch an der Stelle auf, die Gerbert mit einem Zeichen versehen hatte. Er las eine Weile, ohne auch nur die Bedeutung der Wörter wahrzunehmen — so wirkte auf ihn der simple schwarze Druck. Die Art der Buchstaben, das vergilbte, abgegriffene Papier, die echten Nähte des Buchbinders, die Wölbung des Rückens, all das hatte für ihn etwas unglaublich Eigenes, Einzigartiges, Verlorenes und Wiedergefundenes, und dabei war er wahrhaftig nie ein Bücherwurm gewesen. Jetzt aber fand er im Lesen etwas Feierliches, als habe ihm der tote Autor einst ein Versprechen gemacht, das so vielen Hindernissen zum Trotz nun in Erfüllung gegangen war. Er hatte eine sonderbare Angewohnheit: Er schlug das Buch aufs Geratewohl auf und begann zu lesen. Den Verfassern wäre das wohl nicht sehr recht gewesen. Er wußte selber nicht, warum er es tat. Vielleicht wollte er die ersonnene Welt nicht durch eine fertige Tür betreten, sondern gleich mitten hineingelangen. Auch jetzt machte er es nicht anders.
… „Soll ich es Ihnen erzählen?“ Der Professor kreuzte die Arme über der Brust.
„Mit dem Schiff in den Hafen von Born“, begann er, ließ sich auf einen Stuhl sinken und kniff die Augen zu. „Mit einem Raddampfer den Fluß hinauf nach Bangal. Dort fängt der Dschungel an. Sechs Wochen beritten, länger geht es nicht. Selbst Maultiere halten nicht durch. Die Schlafkrankheit… Es gab dort einen alten Schamanen namens Nfo Tuabe.“ Er sprach das Wort französisch aus, mit der Betonung auf der letzten Silbe. „Ich war gekommen, um Schmetterlinge zu fangen. Er aber wies mir den Weg…“ Er hielt inne und schlug die Augen auf.
„Wissen Sie, was Dschungel ist? Woher sollten Sie es wissen! Grünes, tobsüchtiges Leben. Alles ist in Bewegung, wachsam, schwirrend. Im Dickicht ein Gedränge gieriger Geschöpfe, irrsinnige Blüten wie Explosionen von Farben.
Insekten, verborgen in klebrigen Spinnweben — Tausende, Tausende nicht klassifizierter Arten. Ganz anders als bei uns in Europa. Man braucht nicht mal zu suchen, die Falter setzen sich nachts in Schwärmen auf das Zelt, sie sind groß wie eine Hand, aufdringlich und blind. Zu Hunderten kommen sie im Lagerfeuer um. Schatten huschen über die Leinwand. Die Neger zittern, der Wind trägt von allen Seiten dumpfes Grollen herbei. Löwen, Schakale… Ja, aber das hat nichts zu sagen. Nachher kommen Schwäche und Fieber. Nachdem man die Pferde aufgegeben hat, geht man zu Fuß weiter. Ich führte Serum, Chinin, Germanin bei mir, alles, was Sie wollen. Eines Tages endlich — es gibt keine Zeitrechnung mehr, man merkt die ganze Lächerlichkeit und Künstlichkeit von Wocheneinteilungen und Kalendern — eines Tages geht es nicht mehr weiter. Der Dschungel ist zu Ende. Nur
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