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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Ufersand eines Flusses Kreise und Tangenten oder Euklidische Dreiecke bildet. Damit schufen die Wissenschaftler eine Reihe von Geboten, von Anforderungen, die jeder beliebige außerirdische Signalgeber erfüllen mußte.
       Nahezu die Hälfte dieser Eiste verlor zu Anfang des darauffolgenden Jahrhunderts ihre Gültigkeit. Nicht nur die Pulsare, die Gravitationslinsen, die Maser gasförmiger Sternenwolken, die gewaltigen Massen des galaktischen Zentrums narrten die Beobachter durch ihre Regelmäßigkeit, Wiederkehr und sonderbare Ordnung vielfältiger Impulse. An die Stelle der gestrichenen „Pflichten der Signalgeber“ setzte man neue, die ebenfalls bald ihre Gültigkeit verloren.
       Hierher leitete sich die pessimistische Überzeugung von der Einmaligkeit der Erde nicht nur innerhalb der Milchstraße, sondern in den Myriaden anderer Spiralnebel. Die weitere Zunahme gerade des astrophysischen Wissens ließ jenen Pessimismus auf Skepsis stoßen. Von geradezu unwiderleg-licher Aussage war hier die Quantität der kosmischen Eigenschaften von Energie und Materie, die den Begriff des „An-thropic Principle“ ausmachten, des engen Zusammenhangs zwischen dem, was das Universum, und dem, was das Leben ist. In einem Kosmos, der Menschen enthält, mußte die Geburt von Leben außerhalb der Erde zu erwarten sein. So entstanden nacheinander Vermutungen, die die Lebens-trächtigkeit des Weltalls mit dessen Schweigen zu vereinbaren suchten. Leben entsteht auf einer Unmenge von Planeten, bringt vernunftbegabte Wesen jedoch nur in einem höchst seltenen Zusammentreffen außergewöhnlicher Umstände hervor. Nein — es entsteht zwar ziemlich oft, entwickelt sich im allgemeinen aber nicht auf der Basis von Eiweiß. Das Silizium weist bereits eine Fülle von Verbindungen auf, die der des Kohlenstoffatoms, des Bausteins des Eiweißes, gleichkommt, und die auf Silikonen beruhenden Evolutionen weisen keinerlei Berührungspunkte mit der Zone der Vernunft auf — oder aber bilden Variationen, die aller Verwandtschaft mit der menschlichen Mentalität entbehren. Nein — die Intelligenz blitzt in vielerlei Gestalt auf, ist aber nur von kurzer Dauer. Allein in ihrer vernunftlosen Epoche verläuft die Entwicklung des Lebens über Jahrmilliarden. Primaten setzen, falls sie sich herausgebildet haben, nach hundert oder zweihundert Jahrtausenden unabsichtlich eine technologische Eruption in Gang, die sie nicht nur immer rascher zu immer höheren Fähigkeiten der Herrschaft über die Naturkräfte bringt, sondern urplötzlich — nach kosmischer Zeitrechnung handelt es sich um eine wahrhafte Explosion — die Zivilisationen in zu entlegene Gegenden versprengt, als daß sie sich durch die Gemeinschaft des Denkens verständigen könnten. Eine solche Gemeinschaft ist überhaupt nicht vorhanden. Sie ist ein anthropozentrisches Vorurteil, von den Menschen ererbt aus uraltem Glauben und uralten Mythen. Es kann viel verschiedenartige Vernunft geben, und eben dadurch, daß es so ist, schweigt der Himmel.
       Anderen Hypothesen zufolge war des Rätsels Lösung viel einfacher. Wenn die Evolution des Lebens die Vernunft gebiert, tut sie das in einer Serie von einmaligen Zufällen. Diese Vernunft kann im Kindbett erstickt werden, sobald in der Nähe des sie zeugenden Planeten eine stellare Intervention erfolgt.
       Kosmische Interventionen sind stets blind und schicksalhaft — hatte die Paläontologie mit Hilfe der Galaktographie, dieser Archäologie der Milchstraße, nicht nachgewiesen, welchen Kataklysmen, welchen Bergen von Saurierleichen im Mesozoikum die Säugetiere ihre Vorrangstellung verdankten und welchem Knäuel von Vorkommnissen — Eis- und Regenzeiten, Versteppung, Wanderung der irdischen Magnetpole, Mutationstempo — der Stammbaum des Menschen entwuchs?
       Dennoch kann die Vernunft unter Trillionen Sonnen zur Reife gelangen. Sie kann den Weg der irdischen Spezies beschreiten. Dann schlägt dieser in der Sternenlotterie gezogene Gewinn nach ein- oder zweitausend Jahren in die Katastrophe um: Die Technologie ist ein Gebiet voller gefährlicher Fallen, und wer es betritt, findet leicht ein böses Ende.
       Die vernunftbegabten Geschöpfe sind durchaus imstande, diese Gefahr zu erkennen — aber erst, wenn es zu spät ist. Die Zivilisationen haben sich der Religionen entledigt und deren späte, entartete Abwandlungen, die Ideologien, durchlaufen, die mit der Erfüllung der irdischen und nur der irdischen Wünsche gelockt

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