Fiasko
daß man darin sein wie durch Krämpfe verzerrtes Spiegelbild sah. Sie bewegten sich geräuschlos, gaben die Zahl der passierten Sektoren an und blinkten am gewünschten Halteort.
Der Korridor hatte einen Fußbodenbelag, der rauh und flauschig zugleich war. Um eine Ecke verschwand — einer gehörnten Schildkröte gleichend — gerade ein Staubsauger. Der Besucher ging eine Reihe von Türen entlang, die wie die Wand leicht konvex waren. Sie hatten hohe kupferbeschlagene Schwellen, für deren Vorhandensein kein anderer Grund denkbar war, als daß sie einem Innenarchitekten sehr gefallen haben mußten.
Vor Laugers Kajüte blieb er stehen. Alle Selbstsicherheit war auf einmal verflogen. Er war immer noch nicht imstande, sich der Besatzung zugehörig zu fühlen. Die Freundlichkeit in der Messe, der Eifer, mit dem ihn bald die einen, bald die anderen an ihren Tisch baten — all das erschien ihm übertrieben. Sie schienen nur so zu tun, als wäre er einer von ihnen und als habe man ihm vorläufig nur noch keine Funktion zugewiesen. Zwar war er mit Lauger ins Gespräch gekommen, der ihm versichert hatte, er könne ihn jederzeit aufsuchen, aber auch das schreckte ihn eher ab, als daß es ihm Vertrauen einflößte.
Schließlich war Lauger nicht irgendwer, sondern der Leitende Physiker, und das nicht nur auf der EURYDIKE.
Er hätte nie geglaubt, daß ihn Zweifel darüber befallen könnten, wie er sich gegen einen anderen zu benehmen hatte — über das Savoir-vivre, ein Wort, das hier einen Beigeschmack hatte wie ein „Flirt“ in den Verliesen einer Pyramide.
Die Tür besaß keine Klinke, man brauchte sie nur mit den Fingerspitzen zu berühren. Sie flog so schnell auf, daß er zurückfuhr wie ein Wilder vor einem Auto. Der geräumige Innenraum überraschte ihn durch seine Unordnung. Zwischen Bergen von Bändern, Platten, Papieren und Atlanten erhob sich ein großer Schreibtisch, dessen Platte sich zu einem Halbkreis rundete. In diesem wiederum stand ein Drehstuhl, an der Wand dahinter befand sich ein schwarzes Rechteck, über das Lichtpünktchen wimmelten.
Zu beiden Seiten dieser funkenschwirrenden Tafel hingen unter Tiefstrahlern große Fotos von Spiralnebeln, weiter hinten bauchten sich vertikale, säulenförmige Zylinder, die teilweise offenstanden und Fächer sehen ließen, voll von den Discs der Prozessoren. In der linken Ecke ballte sich die Masse eines schrägen, vierkantigen Apparats, unter dem ein Stühlchen befestigt war. Die Mündung des Geräts ragte in die Decke, und aus einem Spalt unter Binokularen kam mit kleinen Sprüngen ein Band, das ein Diagramm zeigte und sich bereits in Schleifen auf dem Boden ringelte, auf einem alten Perserteppich mit ausgeblichenem Hieroglyphenmuster. Dieser Teppich verwirrte den Besucher vollends. Einer der säulenförmigen Zylinder verschwand und machte den Weg in einen Nebenraum frei. In der Öffnung erschien Lauger, in Leinenhosen und Pullover, das Haar schon ewig nicht mehr geschnitten. Er lächelte dem Gast verständnisinnig und unschuldig entgegen. Sein Gesicht war fleischig, er sah aus wie ein vorzeitig gealtertes Kind und glich einem Schöpfer höchster Abstraktionen ebensowenig wie Einstein, als er noch im Patentamt gearbeitet hatte. „Guten Tag…“, sagte der Ankömmling. „Treten Sie ein, Kollege, Sie treffen es gut: Sie bekommen es hier auf einen Schlag mit der Physik und der Metaphysik zu tun…“ Erläuternd setzte er hinzu: „Pater Arago ist bei mir.“
Lauger ging voran in eine andere, kleinere Kajüte mit verdeckter Koje und einigen kleinen Sesseln um den Tisch, auf dem der Dominikaner mit der Lupe irgendwelche Pläne prüfte, möglicherweise eine computergefertigte Planetenkarte, denn man sah darauf Breitenkreise. Arago zog den Sessel an seiner Seite hervor, sie nahmen Platz. „Das ist Mark“, sagte Lauger zu dem Pater. „Kennen Sie ihn?“
Ohne den Gefragten zu Wort kommen zu lassen, fuhr er fort: „Ich errate Ihren Kummer, Mark. Mit dem Geist in einer Maschine kommt man schwer auf einen Nenner.“
„Die Maschine hat keine Schuld“, merkte der Dominikaner an. In seiner Stimme lag unüberhörbare Ironie. „Sie schwätzt, was man ihr eingegeben hat.“
„Das soll heißen: Was ihr eingegeben habt!“ verbesserte ihn der aufsässig lächelnde Physiker. „Es gibt keine Übereinstimmung in den Theorien, es hat sie nie gegeben.“ Für den neuen Gast fügte er eine Erklärung hinzu:
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