Final Cut - Etzold, V: Final Cut
was hat er dann mit den anderen Frauen gemacht? Hat er auch diese Morde gefilmt? Und warum? Um sich daran aufzugeilen?«
Friedrich nickte. »Ein Serienmord an Frauen, der nicht sexuell motiviert ist, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Vielleicht hat die Vergewaltigung vorher oder sogar post mortem stattgefunden.« Er drehte sich zu Clara. »Vielleicht auch nicht. Ich denke, vor allem ging es ihm darum, Ihnen den Mord zu zeigen. Die Ermordung des Opfers, ob mit Vergewaltigung oder ohne, scheint mir eher eine Vergewaltigung von Ihnen zu sein.« Er blickte Clara durchdringend an. »Ich bin sicher, er hat sich gestern den ganzen Abend ausgemalt, wie Sie die CD anschauen und welche Reaktionen das bei Ihnen auslöst.«
Clara gefiel dieser Gedanke überhaupt nicht. Dass es plausibel klang, machte es umso schlimmer.
»Aber warum?«
»Er scheint irgendein Bindeglied zwischen sich und Ihnen zu sehen«, antwortete Friedrich. »Vielleicht gehen Sie mal in sich und überlegen, ob es in der Vergangenheit irgendetwas gab – Personen, Ereignisse – die einen Zusammenhang erkennen lassen. Ich werde ebenfalls darüber nachdenken.«
***
Clara schaute aus dem Wagenfenster, als draußen der Regen in grauen Fäden in die schmutzigen Pfützen des Mehringdamms fiel, während Winterfeld Kurs auf die LKA-Zentrale nahm.
Irgendetwas in meiner Vergangenheit, dachte sie. Sie ertappte sich dabei, dass das ganze Grauen, die nächtliche Sichtung der CD, die mumifizierte Leiche, die Käfer und der Schrecken eine willkommene Abwechslung gewesen waren, um von einer Bedrohung abzulenken, die sie noch immer zu verdrängen versuchte, die aber nach wie vor im Raum stand: Der Täter hatte ihr, Clara, die CD geschickt.
Warum?
25.
Clara betrachtete die junge Frau auf dem metallenen Sektionstisch der Rechtsmedizin in Moabit, blickte in das lederartige Gesicht, das einmal hübsch gewesen war, auf den Körper, der einmal schön und grazil gewesen war, auf die Augen, die einst voller Leben gewesen sein mussten, jetzt aber nur noch eine zerkrümelte, gallertartige Masse waren. Der menschliche Körper besteht zu mehr als siebzig Prozent aus Flüssigkeit. Mumien wiegen daher oft nur noch zwischen zwanzig und dreißig Kilo.
Die Frau war viel zu jung, um hier zu liegen – sechsundzwanzig, wie die Daten des Einwohnermeldeamtes ergeben hatten. Sie hatte Träume gehabt, Hoffnungen, Wünsche, Pläne. Und alles war an dem schrecklichen, blutigen Tag zu Ende gegangen, als das Monster mit seiner Kamera und seinem Messer in ihre Wohnung gekommen war.
»Wir fangen alle besser an, als wir enden.«
Das war Dr. von Weinstein, der stellvertretende Direktor des Instituts für Rechtsmedizin. Mit seinem gebräunten Teint, den gegelten, nach hinten gekämmten schwarzen Haaren, die von grauen Strähnen durchzogen waren, und der silbernen Designerbrille entsprach er nach Claras Empfinden überhaupt nicht dem Klischee eines Rechtsmediziners.
Die Obduktion war noch im Gang. Winterfeld stand an der Stirnseite des Obduktionstisches, dort, wo sich der Kopf der Mumie befand. Die Sektionsassistenten hatten Brust und Bauchhöhle vollständig geöffnet. Einer war gerade dabei, mit einer Oszillationssäge Jasmins Schädel aufzusägen, um das Gehirn zu entnehmen. Clara kannte die Vorschriften, Paragraph 89, Strafprozessordnung: Die Leichenöffnung muss, soweit der Zustand der Leiche es gestattet, stets die Öffnung der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle mit einbeziehen.
Und hier war er wieder, hier im Sektionssaal in Moabit, stärker als je zuvor: der Geruch des Todes. Dieser süßliche, perfide Gestank, den niemand mehr vergisst, der ihn einmal wahrgenommen hat.
»Insektenfraßtypische Defekte«, sagte von Weinstein und leuchtete mit einer kleinen Lampe in die Bauchhöhle der Toten, wo noch immer die verfluchten Käfer durcheinanderwimmelten. »Und sämtliches Blut ist aus den Arterien verschwunden.« Claras Blick folgte dem Schein der Lampe. Reste von Darm und Magen waren im Körper verblieben, und auch dort waren die Käfer, die in den vertrockneten, von Fäulniskristallen gespickten Innereien wie in einer grotesken Tropfsteinhöhle herumkrabbelten.
»Das ist äußerst ungewöhnlich«, fuhr von Weinstein fort und tippte mit seinem Skalpell auf den Oberkörper der Leiche wie ein Dirigent. Clara hatte diese Angewohnheit schon immer gestört, weil sie es als pietätlos empfand, doch vielleicht war es für Weinstein eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu dem Grauen zu wahren, dem
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