Final Cut - Etzold, V: Final Cut
ihr entgegen, den obersten Hemdknopf offen, die Krawatte gelockert, in der Hand eine Packung La-Paz-Zigarillos, die er umständlich öffnete, während seine gebogene Adlernase die Luft auf dem Gang durchschnitt wie der Bug eines Schiffes das Wasser und der Blick aus seinen blauen Augen auf Clara gerichtet war.
»Ah, Señora Vidalis«, sagte er, fuhr sich mit der Hand durch seine kurzen grauen Haare und öffnete bedächtig das große Fenster gegenüber der Kaffeeküche, um wieder mal »nach draußen zu rauchen«, wie er es nannte. Es hatte immer etwas sehr Feierliches, wie Winterfeld das Fenster aufmachte, beinahe wie ein Priester, der das Tabernakel öffnet, um die geweihten Hostien für die Eucharistie herauszunehmen.
»Leisten Sie einem alten Mann Gesellschaft«, fuhr er fort, während er das Fenster ganz öffnete und der kühle Herbstwind in den Flur wehte. Winterfeld atmete die frische Luft ein, die schon ein wenig nach Schnee und Winter roch, um gleich darauf den Zigarillo zu entzünden und Rauchwolken in die Abendluft zu pusten.
Sie standen eine Zeit lang nebeneinander. Clara hielt den Kaffeebecher mit beiden Händen und genoss die wohlige Wärme, während die Herbstluft sie ein wenig frösteln ließ. Winterfeld blies dabei beinahe meditativ und in kurzen Abständen Rauch in die Abenddämmerung.
»Heute ist der Dreiundzwanzigste«, sagte er schließlich, ohne Clara anzuschauen. »Sie müssen nicht darüber reden, aber ich hoffe, es geht Ihnen einigermaßen gut.« Winterfeld kannte Claras Geschichte.
»Ja, ich war wieder beichten«, sagte Clara und trank den Kaffee in kleinen Schlucken. »Ich weiß gar nicht, warum ich das immer wieder tue, aber es geht mir danach tatsächlich ein bisschen besser. Jedenfalls hilft es mehr als das Yoga, das ich auch mache.« Sie bewegte die Schultern auf und ab. »Ich bin beim Yoga bald so weit, dass ich mir selbst den Arm auskugeln kann, aber ruhiger macht es mich nicht.«
»Kann nützlich sein, das mit dem Armauskugeln, aber die Idee mit der Beichte ist auch nicht schlecht«, sagte Winterfeld. »Die Brüder«, damit meinte er die katholische Kirche, »haben in gewisser Weise die Psychoanalyse erfunden. Das mag den Agnostikern nicht passen, ist aber so. Sich einfach alles von der Seele reden – so läuft das bei der Kirche, und so läuft es auch bei Freud. Du musst es sagen, du musst es aussprechen, dann geht es dir besser.« Er blickte Clara an. »Wie oft hatten wir hier schon Mörder, die sich freiwillig gestellt haben, weil sie es nicht mehr aushielten, mit ihrer Schuld allein zu sein?«
Clara nickte. »Wie sagte der Kollege vom FBI, der letztes Jahr hier war? Not everyone is built for guilt.«
»Wo er recht hat, hat er recht«, sagte Winterfeld und zog an seinem Zigarillo.
Wieder schwiegen beide eine Zeit lang.
»Was ich noch sagen wollte ...«, Winterfeld fuhr sich durch die Haare und paffte an seinem Zigarillo. »Sie haben bei der Fahndung nach dem Werwolf hervorragende Arbeit geleistet. Ein so unorganisierter, animalischer Täter ist mir noch nie untergekommen. Ich will gar nicht wissen, wie die Gerichtsverhandlung abgelaufen wäre.« Winterfeld zuckte die Schultern. »Na ja, nun liegt unser Freund erst mal im Kühlraum in Moabit und nächste Woche dann eins achtzig tiefer. Dann kann er ein bisschen in sich gehen.« Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich wieder Clara zuwandte. »Ich soll Ihnen auch von Bellmann Glückwünsche ausrichten. Sie kennen ja den alten Spruch: Wenn Wasser bergauf fließt, bedankt sich jemand für einen Gefallen, und Bellmann ist da bestimmt keine Ausnahme, aber diesmal scheint es ihm ernst zu sein. Er will unbedingt noch mal mit Ihnen reden und Ihnen persönlich für den großartigen Job danken. Wie lange sind Sie noch hier?«
»Bis Freitag«, sagte Clara. Noch zwei Tage, um den Fall abzuschließen und den Papierkram zu erledigen, dann war erst einmal Urlaub angesagt. Zwei Wochen. Sie wusste noch nicht wohin. Wahrscheinlich Last Minute. Irgendwo. Irgendwie.
»Er wird noch mal vorbeikommen. Bis morgen Mittag ist er in Wiesbaden beim BKA, aber dann stehen Sie ganz oben auf seiner Prio-Liste.«
»Das freut mich«, sagte Clara, die gegenüber Bellmann, dem Chef des LKA Berlin, stets gemischte Gefühle hatte. Er war ein hervorragender Organisator, aber wenn es mal nicht so lief, wie er es gerne gehabt hätte, konnte er sehr unangenehm werden, insbesondere, wenn er im Nachhinein davon erfuhr.
»Und?«, fragte sie dann
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