Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Star-Aktienmarkt nicht allzu viel hielt, auch wenn er die Idee »prinzipiell in Ordnung« fand, wie er beteuerte. Verstanden, so glaubte Torino, hatte er sie allerdings immer noch nicht.
Myers – rotblond, mit blauen Augen und vorstehendem Kinn, das sich wie eine Klippe in die Lounge reckte – hatte das Gesicht in einer Financial Times vergraben, über deren Rand er von Zeit zu Zeit hinweglugte, um abwechselnd auf den Eingang der Lounge und die elektronische Tafel mit den Abflugzeiten der Flüge zu blicken.
»Albert«, sagte er und erhob sich, als er Torino erblickt hatte. »Here you are! How was your flight?«
»Work and pleasure in good measure«, sagte Torino und sprach auf Englisch weiter. »Habe die Präsentation für die Investoren fast fertig, Essen war okay, schlafen konnte ich wieder mal kaum.«
Myers wies mit einer Hand auf den Sessel neben sich, während Torino seine Tasche und den Koffer abstellte, sich am Automaten einen Cappuccino zog und sich neben Myers in den Sessel sinken ließ.
»Also«, begann Myers. »Kommen wir zur Sache, ich muss in zwanzig Minuten in den Flieger nach Frankfurt. Du willst einen Aufguss von American Idol oder Deutschland sucht den Superstar machen, richtig?«
»Quatsch.« Torino gab Zucker in seinen Cappuccino, während er ein wenig umständlich mit einem langen Löffel in dem Becher rührte. »Das ist alles Schnee von gestern. Die üblichen Star-Formate sind von Spießern gemacht, für die es schon ein Skandal ist, wenn jemand Sex vor der Ehe hat.«
»Das sagen sie alle.« Myers nippte an seinem Wasser. »Ich habe deine Mail nur überflogen, aber ich hab zumindest so viel verstanden, dass der User sich seinen Superstar selbst aussuchen kann.«
»Korrekt«, sagte Torino. »In den üblichen Formaten ist es so, dass dem Zuschauer die Kandidaten vor die Nase gesetzt werden, die dann von der Jury gesagt bekommen, dass sie nichts weiter sind als überflüssige Embryonalzellen, die sich lieber heute als morgen von der Brücke stürzen sollten. Für einen kleinen Bruchteil gilt das aber nicht – und die werden die neuen Stars.«
»Funktioniert ja auch nach wie vor«, sagte Myers.
»Ja, weil die Couch-Potatos da draußen in Zombieland«, er wies Richtung Tür der Senator Lounge, als würde dort eine andere Welt beginnen, »alles schlucken. Solange niemand mit etwas wirklich Neuem aufwartet, ist jeder mit dem gleichen Käse zufrieden, auch wenn es alter Käse ist, der schon tausend Mal umgedreht wurde.«
»Und?«
»Und?«, fragte Torino zurück. »Das hat doch nichts mit der vielbeschworenen Mitmachkultur der neuen Medien zu tun. Dem Zuschauer wird diktatorisch etwas vorgesetzt, was er vielleicht gar nicht sehen will. Nur weil es den Machern gefällt, heißt das nicht, dass es dem Zuschauer gefällt. Der Wurm«, Torino hob den Zeigefinger, »muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler!«
»Netter Vergleich«, sagte Myers. »Und weiter?«
»Gegenfrage«, erwiderte Torino. »Was denkst du als Zuschauer, wenn du zum Beispiel auf schlanke Models stehst, der Sender dir aber die Schwabbelkolonne von den Weight Watchers aufs Auge drückt? Oder du stehst auf Vollschlanke, aber im Fernsehen ist Miss Äthiopien angesagt?«
Myers reckte sein Kinn in Richtung Zeitungsstand und kaute auf der Unterlippe. »Vielleicht käme ich dann auf die Idee, dass ich gerne mal selber entscheiden würde, wer da auftaucht.«
»Genau«, sagte Torino. »Du willst als Zuschauer die Möglichkeit haben, dein eigenes Topmodel aussuchen zu können.«
»Das heißt, die Zuschauer setzen auf die richtigen Models? Wie beim Pferderennen?«
»Korrekt.« Torino nickte, während er in seinem Cappuccino rührte und einem Tross chinesischer Geschäftsleute hinterherblickte, die an ihnen vorbei Richtung Ausgang pilgerten. »Die Models können sich auf der Plattform eine eigene Website einrichten, auf der sie sich den Zuschauern präsentieren – so wie in diesen Kontaktforen, wo man Freundschaften, Sex oder was auch immer suchen kann. Gleichzeitig können die Zuschauer ihre Favoritin über diese Plattform auswählen und Punkte vergeben.«
»Und geboten wird mit Geld?«
»Womit denn sonst? Wir leben in der Wirklichkeit. Wer viel Geld auf eine Aktie setzt, bringt damit den Kurs in Bewegung, genau wie in der Sendung der Kurswert des jeweiligen Models nach oben geht. Die zwanzig Frauen, die am Ende den höchsten Kursstand haben, werden zum Casting in die Sendung eingeladen.«
»Darum heißt die Sendung Shebay?
Weitere Kostenlose Bücher