Finnischer Tango - Roman
zerstören?«, fragte die Frau aus dem Außenministerium verwundert. »Der Mann ist doch selbst Moslem und stammt noch dazu aus einer alten Familie, in der es immer viele Geistliche gab.« Sie fuhr mit den Händen in ihren grauen Haarschopf.
Auch Langdon begriff nicht, was al-Moteiri anstrebte. »Imam Ali ist gewissermaßen der Gründer des Schiitentums.Und die Schiiten sind doch die gemäßigteren Moslems, nicht wahr? Die Mitglieder der schlimmsten Organisationen sind doch Sunniten oder Wahhabiten: Al-Kaida, Takfir, Tawhid wal Jihad …«
Die Vertreterin des Außenministeriums glaubte, Langdon hätte ihr eine Frage gestellt. »Das stimmt nicht. Das ganze islamische Ideal des Märtyrertodes ist eine Erfindung der Schiiten. Die Denkweise ›Durch Selbstmord ins Paradies‹ entstand, als der dritte Imam der Schiiten, Husain, in der Schlacht von Kerbela im Jahre 680 ermordet wurde. Husain zog mit einer kleinen Truppe in den Kampf gegen eine riesige Sunnitenarmee und verkündete schon vorher, er wolle als Märtyrer sterben. Husain wurde natürlich getötet und damit für die Schiiten das Vorbild des Märtyrertums. Deshalb garantiert der Tod im Kampf für den Islam den Schiiten einen Platz im Paradies.«
»Hat das irgendeine Bedeutung? Auch heute noch?«, fragte Langdon erstaunt.
Die Frau aus dem Außenministerium lächelte freudlos. »Die Lehre der Schiiten vom Märtyrertum ist der wichtigste Grund für den gegenwärtigen Terrorismus … also ihre Verbreitung unter den Sunniten. Beispielsweise die Palästinenser, die Sunniten sind, übernahmen die Märtyrerlehre der Schiiten von den südlibanesischen schiitischen Hisbollah-Terroristen im Jahre 1992. Danach erreichten die Palästinenser mit ihren Bombenanschlägen, dass die Yankees den Libanon verließen, und sie begannen ihre Selbstmordanschläge in Israel.«
Langdon wurde ungeduldig. »Und was hat das mit dem zu tun, was in Nadschaf jetzt geschieht?«
»Wenn irgendein westliches Land die Imam-Ali-Moschee zerstört, dann würden sowohl die Sunniten als auch die Schiiten auf der Stelle in den heiligen Krieg ziehen. Diesen Hass kann man sich nicht einmal vorstellen. Das ist dasGleiche, als würden das Weiße Haus, der Kreml, der Eiffelturm, der Buckingham-Palast und die Klagemauer in Jerusalem zerstört werden. Und auch das ist noch ein schwacher Vergleich, wenn man das Temperament der Moslems kennt.«
Es war, als würde in Melissas Kopf ein Vorhang aufgezogen, plötzlich schien alles ganz klar zu sein. Die Imam-Ali-Moschee, al-Moteiris Worte von einer Inszenierung und einem Trick, »die Taube« und das Timing ihrer Nachrichten und die achthundertfünfzig in Nadschaf patrouillierenden Black-Watch-Soldaten mit ihren Panzern, ihren Kampfhubschraubern …
Melissa rieb sich mit bestürzter Miene ihren Bauch; Adil al-Moteiris Plan verschlug einem die Sprache.
57
Adil al-Moteiri war auf dem Weg zum Tor des gewaltigen Friedhofs Wadi al-Salam in Nadschaf und schaute auf die etwa zweihundert Meter entfernt in der Sonne glitzernde goldene Kuppel der Imam-Ali-Moschee. Jeder in Nadschaf begrabene Moslem gelangt ins Paradies, hatte Imam Ali verkündet. Aus diesem Grunde hatten so viele Propheten und Geistliche im Laufe der Jahrhunderte gerade hier begraben werden wollen.
Adil hastete im Laufschritt auf der von Palmen gesäumten Straße in Richtung Moschee. Er hatte soeben Melissa Tufton vom MI 5 mitgeteilt, dass sich Umar Hussain in der Imam-Ali-Moschee befand, jetzt war Eile geboten. Die Black-Watch-Soldaten würden nicht sehr lange brauchen, um ihre Positionen zu beziehen und die Moschee zu umstellen. Doch die von Sadiq engagierten Moslemkrieger waren schon bereit, das hatte sich Adil eben von seinem Bruder bestätigen lassen. Alles war bereit.
Er empfand kein Mitleid für die westlichen Länder, sie verdienten all die Zerstörung, die er in wenigen Minuten durch einen großen Knall in Gang setzen würde. Wohin auch immer die westliche Kultur vordrang, überall zählte für sie nur die Gegenwart, das Materielle und die technokratische Wissenschaft, die nicht einmal den Versuch unternahm, etwas über Dinge auszusagen, die für die Menschheit wesentlich waren.
Eins, zwei, drei; Adil sah auf den wenigen hundert Metern schon die dritte Black-Watch-Patrouille. Er erreichte den Innenhof der Moschee und wusch sich schnell an der Quelle, jetzt blieb keine Zeit, das Funkeln des Goldes oder die Ornamente der Minarette zu bewundern. Dutzende Tauben flatterten auf, als er quer über
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