Finnischer Tango - Roman
…
Ratamo tauchte durch die Türöffnung, landete im Gang auf dem Bauch, rollte sich zur Seite und kroch im Schutz der hohen Schwelle zurück, um die Tür zu schließen. Erst als er die Klinke mit beiden Händen nach unten drückte, wagte er wieder zu atmen. Er spürte im Mund den Geschmack der Magensäure. Jetzt musste er Kivelä Bescheid geben. Sein Herz hämmerte. Er hielt mit der linken Hand die Klinke so fest, dass die Knöchel ganz weiß wurden, und holte mit der anderen das Sprechfunkgerät aus seiner Jackentasche.
»Dieser Mouni ist hier, verflucht, in einem Frachtraum auf dem L-Deck. Er hat Sprengstoff, viel. Den Zünder habe ich mir geschnappt. Verdammt, kommt schnell …«
»Wir sind gleich da«, antwortete Kivelä.
Das Sprechfunkgerät fiel zu Boden, als Ratamo die Antwort hörte, er drückte auch die andere Hand auf die Klinke und zählte die Sekunden. Dann wurde ihm klar, dass es in dem Frachtraum auch noch einen anderen Ausgang geben musste als die Brandschutztür. Irgendwo wurde ja auch die Fracht hineingebracht. Mouni würde durch die andere Tür herauskommen, ihn umgehen und töten. Die Angst breitete sich im ganzen Körper aus, die Sekunden krochen dahin, dann vermischte sich das Geräusch von Schritten mit seinem dröhnenden Herzschlag. Das war Mouni. Er hatte nur noch einen Augenblick zu leben.
Plötzlich wurde ihm klar, dass er viele Fußpaare trampeln hörte. Noch etwa ein Dutzend quälende Sekunden vergingen, dann traf Kiveläs Truppe ein, und Ratamo konnte die Klinke loslassen. Die Hände waren ganz gefühllos geworden.
»Was ist da drin?«, fragte Kivelä.
»Ein großer Frachtraum, Metallkisten, ein Mann – Sliman Mouni, zwei Pistolen und mindestens drei armdicke Plastiksprengstoffstangen, so lang wie ein Baguette. Aber das hier nicht.« Ratamo hielt den kleinen schwarzen Gegenstand hoch, den er mitgenommen hatte.
»Seht ihr den mittleren Frachtraum auf dem L-Deck, was macht der Terrorist?«, sagte Kivelä in sein Mikrofon und erhielt die Antwort über die Kopfhörer.
»Mouni fingert am Sprengstoff herum«, sagte er seiner Gruppe. »Vielleicht ist er trotzdem imstande, ihn zu zünden. Rauchgranaten können wir nicht einsetzen, dann sieht man nichts mehr, und wir müssen den Mann und den Sprengstoff sofort finden«, überlegte Kivelä laut. »Tränengas wirkt zu langsam, der Mann könnte noch Zeit haben, die Ladungen in die Luft zu jagen.«
Kivelä brüllte ein paar Befehle, und die Männer des Karhu-Kommandosbezogen ihre Positionen: Zwei Polizisten bereiteten sich darauf vor, die Tür aufzureißen, und sechs Männer waren schussbereit, drei von ihnen knieten in der vorderen Reihe und die anderen standen dahinter.
»Das könnte der schwierigste Teil des Auftrags sein«, sagte Kivelä und ermutigte seine Männer: »Aber vielleicht auch der letzte.« Dann gab er den Befehl.
Die Tür schwang auf, und die Männer vom Karhu-Kommando sahen den Mann, der dreißig Meter entfernt an der Markierung der Ladewasserlinie saß, mit den Sprengstoffrollen um den Hals und mit glänzenden Augen. »Bism Illahir Rahmanir Rahiim!«
»Tür zu!«, brüllte Kivelä. Die Tür krachte zu, und die »Pride of Britain« erbebte unter der Wucht einer gewaltigen Explosion.
56
»Weshalb ist Adil al-Moteiri nach Syrien geflogen? Du musst alles erzählen, was der Mann vorgestern in dieser Fotoausstellung und heute in Roihupelto gesagt hat!« Wrede stand mit rotem Gesicht im Verhörraum der SUPO und schrie Eeva Hallamaa an.
Riitta Kuurma griff nach Eevas Hand. »Die Dinge klären sich allmählich. Es sieht so aus, als hätte al-Moteiri tatsächlich auch etwas mit dem zu tun, was dir in den letzten Tagen passiert ist. Es kann sehr gut sein, dass …«
»Ich habe schon alles erzählt, woran ich mich erinnere«, erwiderte Eeva erschrocken. »Adil redet so viel und so verdammt verworrenes Zeug.«
Wrede wollte Eeva erneut anbrüllen, aber Riitta Kuurma verhinderte das mit einem giftigen Blick und wandte sich dann wieder Eeva zu. »Versuche dir alles ins Gedächtnis zurufen, worüber ihr gesprochen habt, Satz für Satz. In aller Ruhe.«
Eeva befolgte ihren Rat, versuchte sich zu beruhigen und im Kopf alles noch einmal ablaufen zu lassen, was Adil gesagt hatte, als sie mit ihm in die Fotoausstellung kommen sollte, und worüber sie sich in der »Laterna Magica« unterhalten hatten. Dann fiel ihr ein merkwürdiger Satz ein, den Adil in dem vorgetäuschten Gefängnis von sich gegeben hatte: »Du bist nur ein kleiner
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