Finnischer Tango - Roman
zusammenreißen und die Finger von den Drogen lassen. Den anständigsten Mann, den sie je gefunden hatte, wollte sie nicht verlieren. Es ärgerte sie, dass Mikko auf Dienstreise war, niemand anders konnte sie beruhigen, wenn die Sucht erwachte.
Eeva erreichte die Haltestelle an der Kreuzung von Hämeentie und Kustaa Vaasan tie und spielte zum Zeitvertreib Fußball mit Eisbrocken; die Straßenbahn würde in ein paar Minuten eintreffen. Zum Glück käme Kirsi erst abends nach Hause. Eeva fühlte sich so unruhig und nervös, dass sie ihren Frust womöglich an der Tochter auslassen würde. Kirsi war elf und wusste schon zu viel von den Problemen ihrer Mutter.
Mit ihren Drogeneskapaden hatte es Eeva geschafft, viele ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen zu zerstören, aber bei Kirsi durfte sie auf keinen Fall versagen.Glücklicherweise konnte man die Erziehung eines Kindes nicht mit Prüfungen, Berufungen, Forschungsgeldern und Gehaltsklassen messen. Sie brauchte auch nicht mehr Angst zu haben, Kirsi zu verlieren: Den von ihrem Ex-Gatten angestrengten Prozess um das Sorgerecht für das Mädchen hatte sie unlängst gewonnen. Das Prozessieren hatte länger gedauert als ihre Kurzehe.
Endlich war das Quietschen und Rasseln der Straßenbahn zu hören, und kurz danach sah man die 6 auch schon. Sie rutschte ein paar Meter an der Haltestelle vorbei und kam erst dann zum Stehen. Eeva setzte sich in den hinteren Teil der Bahn und schaute hinaus, wie der Wind den Pulverschnee aufwirbelte.
»Wenn du in Versuchung gerätst, dann rekapituliere, was dich dazu getrieben hat, Drogen zu nehmen, und was das für Folgen hatte.« Die Worte der Psychotherapeutin klangen Eeva in den Ohren und weckten schmerzliche Erinnerungen an zurückliegende Jahre. Der Ehrgeiz hatte sie ruiniert, und ihre Gewissenhaftigkeit. Der Teufelskreis der Drogen hatte mit harmlosen Experimenten während ihres Studiums in den USA um die Jahrtausendwende begonnen. Viele Studenten zauberten mit Speed zusätzliche Stunden herbei und verlängerten so den Tag. Nach ihrer Rückkehr in die finnische Heimat hatte sie in der Fakultät zu viel Arbeit an sich gerissen, nachts ihre Dissertation geschrieben und ihr Kind allein aufgezogen. Und eine feste Beziehung mit Adil gehabt. Das Jahr 2001 gehörte wahrlich nicht zu ihren besten.
Eeva betrachtete das Menschengewimmel in Sörnäisten kurvi und ließ sich den Namen ihres Ex-Freundes auf der Zunge zergehen – Adil al-Moteiri. Der junge Iraker hatte den Eindruck eines gebildeten, sympathischen und gutmütigen Genies gemacht, für das nichts unmöglich war. Doch im Laufe der zwei Jahre ihrer Beziehung hatte sich dieWahrheit herausgestellt: Adil lebte in seiner eigenen Welt, zu der andere keinen Zugang besaßen. Es erwies sich als undenkbar, mit ihm ein normales Leben zu führen. Eeva spürte wieder ein wenig Mitleid; Adil war völlig zusammengebrochen, als sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie sich von ihm trennen wollte. Kaum zu glauben, dass auch das schon mehr als drei Jahre zurück lag. Verglichen mit einem Intellektuellen der besonderen Art wie Adil erschien ihr Mikko, der mit beiden Beinen fest auf der Erde stand, verlässlicher als die Lottoziehung am Samstag.
Die Straßenbahn hielt auf dem Bulevardi an. Eeva betrat vorsichtig das glatte Pflaster, überquerte die Straße und ging nach Süden in Richtung Albertinkatu. Bis nach Hause war es zu Fuß ein halber Kilometer. Das heftige Verlangen nach Speed hatte schon nachgelassen, auch diesmal half es, nicht an die Euphorie zu denken, die das Amphetamin erzeugte.
Zehn Minuten später öffnete Eeva die Haustür von Aufgang A in der Sepänkatu 7 und fühlte sich gleich viel besser, als ihr einfiel, dass sie noch Zeit hätte, ein Bad zu nehmen und ein Glas Wein zu trinken, bevor Kirsi nach Hause kam. Ihre Tochter hatte eine neue beste Freundin: Kirsi und Nelli, die in der Nachbarschaft wohnte, nahmen gemeinsam Reitstunden in Kirkkonummi. Eeva hoffte, dass diese Phase noch möglichst lange nicht von Jungsgeschichten abgelöst wurde. Im Briefschlitz des Rentners in der ersten Etage steckte ein Umschlag, und auf dem Fußboden neben der Tür lag die Zeitung. Dem unter ihr wohnenden Nachbarn, der zumeist einsam wirkte, begegnete sie dann und wann im Treppenhaus, aber jetzt hatte sie ihn schon tagelang nicht gesehen. Hoffentlich war nichts passiert? Eeva schämte sich, dass sie seinen Vornamen immer noch nicht wusste. Wenigstens der Familienname des ehemaligen Polizisten stand an der
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