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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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provozierende Vorführung der betrunkenen Schönheit tauchte vor Ezrael das
    Bild einer Erscheinung auf: das zur Todesgrimasse verzerrte Gesicht des Mädchens von der Shankill Road. Wieder stellte man ihn auf die Probe. Die Tänzerin führte ihn mit ihrer Wollust in Versuchung und verlockte ihn zum Bösenwie seinerzeit das Mädchen … Genauso hatte Salome für Herodes getanzt, den König betört und erreicht, daß er ihr den Kopf von Johannes dem Täufer schenkte. Auf einem silbernen Tablett.
    Die Bestie in Ezrael riß und zerrte an den Ketten; er saß schon über eine Stunde unter den Sündern, und es war schwer, die Bestie kurz vor der Rache im Zaum zu halten, gerade in der Zeit dürstete es sie besonders stark nach Blut. »Unter den Sündern verhält man sich wie die Sünder und handelt nach deren Regeln«, wiederholte Ezrael für sich, und das gab ihm Kraft. Er war der Engel des Zorns, und der Engel schwebte über seinem Opfer.
    Ezrael verdrängte den Lärm des Orchesters in die entlegensten Winkel seines Gehirns und starrte auf den Verräter namens Elvas, der auf der anderen Seite des Saals unter den vergitterten Fenstern saß. Das vierte Opfer des Engels. Der Gedanke an den Auftrag beruhigte die Bestie und erfüllte Ezrael mit Stolz. Nichts auch nur annähernd Gleichartiges hatte er empfunden, bevor er den Auftrag erhielt: den Sinn und die Gewißheit der bevorstehenden Erlösung. Vorher hatte er nur die Bestie gespürt.
»Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.«
    Eine Kellnerin blieb vor Ezrael stehen und zog die Augenbrauen hoch, das bedeutete: »Was darf ’s sein?« Ezrael deutete sein liebevollstes Lächeln an, seine Augen strahlten, und er schüttelte den Kopf. Die Kellnerin antwortete mit einem Gesichtsausdruck, der mehr als freundlich war, das erkannte auch Ezrael; die Sünder hätten vermutlich gesagt, daß die Frau damit ihr Interesse zeigte. Doch auch diese Wollust würde im Feuer untergehen. Manchmal ängstigte es Ezrael, wie leicht es ihm fiel, sich genauso zu verhalten wie die Sünder.
    Würde sich die Kellnerin an ihn erinnern? Jetzt bereuteer, daß er keinen Alkohol bestellt hatte. Zum Glück feierten in dem Restaurant auch viele Ausländer: Er hatte auf der Toilette Englisch gehört, und an einem Tisch saßen ein paar Männer aus Asien. Besser wäre er in der Masse untergetaucht, wenn er sich als Student getarnt hätte, mit seinem kindlichen Gesicht wäre ihm das trotz seiner dreiunddreißig Jahre spielend gelungen, doch mit einem Studenten hätte garantiert irgend jemand Bekanntschaft schließen wollen, das wäre unvermeidlich gewesen. Jetzt beabsichtigte er, sich Leute, die seine Gesellschaft suchten, mit der Lüge vom Leibe zu halten, er warte auf seine Freunde.
    »Komm tanzen, Süßer, entspann dich ein bißchen …« Eine Frau mittleren Alters, die sich in einen viel zu engen Jeansrock gezwängt hatte, stand vor Ezrael, beugte sich über ihn und drängte ihr fast bis zum Nabel reichendes Dekolleté so nahe an sein Gesicht, daß er den Maiglöckchenduft roch. Die Bestie in ihm bewegte sich, und das Rot leuchtete auf. Ihr Parfüm war genauso billig wie die Frau selbst; sogar das Mädchen von der Shankill Road hatte sich diesen Duft leisten können.
    Ezrael lächelte und zog die Augenbrauen zu einem verführerischen Bogen. Dann wies er mit der Hand auf eine unbekannte junge Frau, die in der Nähe tanzte, und tippte auf den glänzenden Ring an einem Finger der rechten Hand. Die Busenkönigin verschwand ohne Beute.
    Und wenn die ganze Welt niederbrannte – seine Kulissen würden nicht einstürzen, es sei denn, er selbst wollte es. Nichts Äußeres hatte Einfluß auf ihn, alles Wesentliche war in ihm. Dank seinem irischen Blut bereitete es ihm keinerlei Schwierigkeiten, den Verlockungen der Welt des Bösen zu entsagen. Die irischen Mönche und Nonnen hatten die Askese seit den Urzeiten des christlichen Glaubens meisterlich beherrscht. Die Nonne Íte ließ Insekten an ihrem Körper fressen und lebte in so vollkommener Entsagung,daß Gott einen Engel schickte, der ihr etwas zu essen brachte. Und der Mönch Coemgen aß nur Gras und trank Wasser und betete der Überlieferung nach völlig bewegungslos so lange, daß Vögel ein Nest am Saum seiner Kutte bauten. Ezrael glaubte, daß er selbst etwas noch Größeres werden würde.
    Ezrael konzentrierte sich auf den unmittelbar bevorstehenden Racheakt. Er

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