Finnisches Quartett
und warten mußte, bis der Lärm verstummte. Schließlich verlor der Verräter das Bewußtsein.
Nachdem Ezrael genügend Luft in den Verräter hineingepumpt hatte, drückte er den Finger auf dessen Hals und stellte zufrieden fest, daß der Auftrag erfüllt war, und das innerhalb weniger Minuten und völlig problemlos. Er stopfte die Instrumente in seine Taschen und spürte eine Woge des Stolzes. Er hatte den vierten Verräter geopfert, die Bestie war gefüttert. Er bereitete den Weg für die Wahrheit, so wie vor ihm der heilige Johannes.
»Wer überwindet, dem will ich zu essen geben vom Holz des Lebens.«
6
Der schwedische Stürmer fiel genauso theatralisch wie General Custer in der Schlacht am Little Big Horn, der Schiedsrichter hob den Arm als Zeichen für eine Zeitstrafe, und ein Popcornregen prasselte auf den Fernsehbildschirm, weil sich Arto Ratamo über den Mann im Zebrahemd ärgerte. Ratamos Tochter Nelli lachte schadenfroh, und Musti, die helle Labradorhündin des SUPO-Chefs Jussi Ketonen, fraß das Popcorn, das auf dem Fußboden lag.
»Der ist vor Altersschwäche umgefallen, verdammt noch mal«, schimpfte Timo Aalto, Ratamos Freund seit Kindertagen. Er stand am Wohnzimmerfenster und strich über den glatten Scheitel der neuesten Anschaffung Ratamos aus dem Trödelladen, einer Gipsbüste von Urho Kekkonen. Ratamo verstand nicht, warum Himoaalto selbst die unbedeutendsten Spiele der Eishockeyweltmeisterschaft so ernst nahm, daß er keine Sekunde ruhig sitzen bleiben konnte.
Nellis Großmutter Marketta trank nach dem Abendessen zur Verdauung Kaffee und Cognac, doch ihr Ehemann Jussi Ketonen aß immer noch, als wäre es seine Henkersmahlzeit. Dann und wann wechselte das Paar Blicke voller Zuneigung, es schien so, als hätten sie nicht im letzten Sommer geheiratet, sondern an diesem Morgen.
Ketonen überlegte, ob er den Rest des Kartoffelsalats gleich aus der Schüssel essen sollte, dann bemerkte er Markettas eisigen Blick und schaufelte die Delikatesse auf seinen Teller zu den Wienern, die mit einer dicken Senfschicht bedeckt waren. Eine solche Schlemmerei war für ihn heutzutage ein seltener Luxus, denn Marketta sorgte dafür, daß er eine strenge Diät einhielt. Oder zumindest versuchte sie es. Um seine Gemütsruhe zu bewahren, mußte Ketonen ab und zu ausbrechen. Dann verspeiste er genüßlich irgend etwas Fettes und Minderwertiges. Genaugenommen geschahdas ziemlich oft. Als das letzte Würstchen in seinem Mund verschwunden war, rülpste der SUPO-Chef so gedämpft, daß Marketta es nicht hörte, und befreite dann seinen gewaltigen Bauch, indem er den obersten Hosenknopf öffnete. Bei den Hosenträgern war der Spielraum ausgereizt. Musti bettelte ihr Herrchen immer noch vergeblich um Leckerbissen an.
»Du hast also deinen Vater nicht zum Essen eingeladen«, erkundigte sich Marketta neugierig und kratzte ihre geröteten Arme. Schon seit Monaten wurde die Ursache für den unangenehmen Hautausschlag gesucht, jetzt vermuteten die Ärzte, daß sie auf ihre alten Tage noch eine Allergie bekommen hatte.
»Erstens ist Tapani nicht mein Vater, und zweitens ist der Alte heutzutage bei einer Feier nicht gerade sehr unterhaltsam. Er redet stundenlang von seinem Krebs, sogar auf den Anrufbeantworter«, antwortete Ratamo in schärferem Ton als beabsichtigt. Aus irgendeinem Grund fiel es ihm schwerer, über Tapanis Krebs zu sprechen, als dem Patienten selbst. Vielleicht lag das daran, daß die Prognose so schlecht war: Der Krebs im fortgeschrittenen Stadium schickte von der Bauchspeicheldrüse Metastasen in die Leber und die Lunge. Schon über ein Jahr kämpfte der Vater gegen seine Krankheit, die meisten Patienten verstarben viel schneller.
Beim Gedanken an den Vater fielen Ratamo seine eigenen privaten Ermittlungen ein. Vor einem Jahr hatte er erfahren, daß er nicht der Sohn seines im Kirchenbuch eingetragenen Vaters war, durch einen DNA-Test wurde das bestätigt. Im letzten Winter hatte Ratamo dann insgeheim versucht, die Identität seines biologischen Vaters zu klären. Wie schwierig das war, stellte sich sehr schnell heraus: Seine Mutter war vor dreißig Jahren gestorben, und die wenigen Verwandten und Bekannten, die noch lebten, wußten von den Ereignissen in den sechziger Jahren nicht viel oder erinnertensich nicht. Tapani seinerseits schwieg wie ein Pantomime.
Ratamo kostete seinen Calvados und beschloß, an etwas Angenehmes zu denken, aber diesmal konnte nicht einmal das fröhliche Gesicht Nellis, die
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