Finnisches Quartett
auf dem Sofa saß und ein Bonbon kaute, seine Laune verbessern. Ratamos Blick wanderte zu seinem Patenkind, das mit seiner Mutter auf dem Teppich saß und »Stern von Afrika« spielte. Warum blieb Nelli nicht genauso lieb und nett wie Timos Laura? Bei Laura waren nicht die geringsten Anzeichen des Trotzalters zu erkennen. Hatte das nicht gerade sehr harmonische Leben bei ihnen zu Hause Nelli vorzeitig zum Teenager gemacht, oder entwickelte sich seine Tochter einfach schneller als ihre Altersgefährtinnen? Ihm graute vor der Zukunft.
Drei Sekunden vor Ende der Strafzeit ging Schweden vier zu zwei in Führung, und Timo Aaltos Flüche unterbrachen Ratamos Gedankengänge. Das letzte Drittel des Vorrundenspiels näherte sich seinem Ende, die Entscheidung war also gefallen. Überrascht stellte Ratamo fest, daß Nelli von allen am hitzigsten reagierte, sie bewarf ihn mit einer Papierschlange und schmiß eine Rolle so heftig an die funktionalistische Deckenlampe, daß es schepperte.
»Wußtet ihr, daß ein erwachsener Löwe im Durchschnitt etwa zwanzig Stunden am Tag schläft«, bemerkte Himoaalto lakonisch und warf einen grimmigen Blick auf die schwedischen Eishockeyfans mit ihren Wikingerhelmen, die auf dem Bildschirm ausgelassen feierten.
»Die Wikinger waren übrigens zumeist Norweger und Dänen«, kommentierte Ratamo mürrisch.
Ketonen rückte auf seinem Stuhl nach hinten und fuhr sich durch die grauen Haare. »In dem Geschichtsbuch, das in der Volksschule von Pälkäne gelesen wurde, haben die finnischen Stämme der Westküste seinerzeit die Wikingerdörfer an der schwedischen Ostküste geplündert.«
Himoaalto holte ein paar Münzen aus der Tasche und drückte sie Ratamo in die Hand. Die Siegerwette mußte man sofort bezahlen, das war so üblich.
»Der Mann hat einen unglaublichen Dusel. Du könntest einen Telefonservice aufmachen und Wett-Tips abgeben.«
»Geh nicht in die Hocke, wenn du Sporen an den Stiefeln hast. Da hast du einen Tipp«, entgegnete Ratamo. In dem Augenblick klingelte Ketonens Handy.
Der Chef der SUPO sah zufrieden aus, als er sein Telefon hervorholte, denn die letzten Meter auf dem Leidensweg der Eishockeynationalmannschaft interessierten ihn nicht übermäßig. Der Anrufer war Ulla Palosuo, die künftige Chefin der SUPO. »Ist alles in Ordnung?« fragte Ketonen.
Palosuo bedauerte, daß sie den Chef am Feiertag stören mußte. »Erinnerst du dich an die Europol-Berichte über die drei Physiker, die in der letzten Zeit in Europa gestorben sind?« Damit kam sie sofort zur Sache und erhielt von Ketonen als Antwort ein Brummen. »In der Nähe des Hotels Lord hat man jetzt eben den vierten gefunden. Hannu Elvas leitete das finnische Forschungsprogramm auf dem Gebiet der Fusionsenergie.«
»Gottverdammich«, Ketonen dehnte seine Hosenträger. »Ist es auch ein Unfall?«
Palosuo dachte einen Augenblick nach. »Nichts weist auf ein Verbrechen hin, Elvas war stockbetrunken, als er starb. Aber Europol und Interpol werden sich garantiert für den Fall interessieren, vielleicht wäre es also klug, auch von uns jemanden ins Hotel Lord zu schicken. Dann können wir zumindest einen genaueren Bericht schreiben.«
Ketonen versprach, sich um die Sache zu kümmern. Er schaltete das Telefon aus und bedeutete Ratamo, der neugierig zugehört hatte, ihm in die Küche zu folgen. Sie setzten sich an den Bauerntisch. Ketonen entdeckte ein paarWiener, die man in der Packung vergessen hatte, und stopfte sie sich in den Mund. »Weißt du, was ein Fusionsreaktor ist?« murmelte er.
»Ist nicht die Sonne ein Fusionsreaktor?«
Ketonen räusperte sich. »Die Fusionsreaktion beruht auf der Verschmelzung von Atomkernen und die heutzutage verwendete Fissionsreaktion auf der Kernspaltung. Der Fusionsreaktor wird die Welt mehr verändern als jede andere Erfindung in der Geschichte, eingeschlossen das Feuer und das Rad. Er wird die Energieprobleme der Erde ein für allemal lösen.«
»Eine ziemlich gewagte Behauptung«, erwiderte Ratamo und lächelte skeptisch.
»Nein, das sind Fakten. Den Brennstoff für den Fusionsreaktor liefert der Wasserstoff im Meerwasser, er erzeugt Energie beinahe umsonst und fast ohne Schadstoffe, radioaktiver Abfall mit langer Halbwertzeit entsteht überhaupt nicht und auch kein Treibhausgas.« Ketonen bemerkte, daß er sich für das Thema begeisterte, und schlürfte Bier aus einem uralten Glas mit Werbung für die Marke Amiraali. »Ich habe die Berichte von Europol äußerst sorgfältig
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