Finnisches Quartett
jedoch keine Spur zu entdecken, sosehr die Polizisten auch danach suchten. Für einen Augenblick glaubte Ratamo, daß ein angehender Mann, der auf einer kleinen Kommode saß, eine Mütze der TH-Studenten trug und mit ernsterMiene vor sich hin starrte, den Schnaps bewachte. Doch dann tunkte der junge Mann die schwarze Bommel seiner Mütze, die an einer langen Schnur hing, in ein volles Bierglas, schwenkte die vor Flüssigkeit triefende Bommel in seinen Mund, saugte daran und lächelte stolz: »Ohne Hände.«
Ratamo lachte schallend, kontrollierte die Kommode ohne Ergebnis und suchte weiter. Nachdem er zwei Runden durch die Wohnung gedreht hatte, blieb er in der Küche stehen und überlegte, was die Studenten wohl mit dem Schweinsrumpf machen würden. Plötzlich hörte er einen Tropfen fallen. Er schaute zum Spülbecken und hörte das Geräusch erneut. Aber der Hahn des Waschbeckens tropfte nicht. Er blickte sich um und versuchte das Geräusch zu orten … dipp, dipp, dipp … Die Mienen der Studenten erstarrten, und einer von ihnen machte einen Schritt zum Spültisch, blieb aber stehen, als Ratamo seine Absicht bemerkte.
Die Tropfen fielen in die Kanne der Kaffeemaschine, obwohl das Gerät nicht einmal eingeschaltet war. »Das Timing ist das wichtigste, sagte der Regentänzer«, witzelte Ratamo, griff nach der Kanne und spürte den stechenden Geruch des Selbstgebrannten in der Nase. Er steckte den Finger erst in die Kanne, dann in den Mund und verzog das Gesicht vor Ekel: Der mit kaltem Kaffee vermischte Schnaps schmeckte genauso widerlich, wie man es sich vorstellte. Ratamo versuchte die Kaffeemaschine hochzuheben, aber die rührte sich nicht vom Fleck. Er beugte sich vor, sah das weiß gestrichene Metallrohr unter dem Tisch und folgte ihm bis ins Bad, wo das Rohr hinter der Waschmaschine verschwand. Ratamo öffnete den Deckel der Waschmaschine, eines uralten »Waschbären«, und der intensive Hefegeruch von Selbstgebranntem stieg ihm in die Nase.
»Das ist nur … für den Eigenbedarf«, stotterte der Amateurschlächter mit nun sehr ernster Miene.
»Eine Praktikumsübung. Wir studieren Chemie«, fügte die Kamerafrau hinzu.
Die Polizisten kümmerten sich um die Angelegenheit, und Ratamo stieg lachend die Treppe hinunter und ging in seine Wohnung. Es ärgerte ihn schon, daß er die Streife gerufen hatte: Wegen des tröpfelnden Selbstgebrannten würden die Studenten Schwierigkeiten bekommen.
Nelli war am Bauerntisch in der Küche mit ihren Requisiten für den Ersten Mai beschäftigt. Ratamo verdrehte die Augen, als er einen rot lodernden Skorpion auf der nackten Schulter des Mädchens entdeckte. »Was verdammt noch mal ist das?« brüllte er, griff nach Nellis Arm und fuhr zusammen, als er den Blick des Mädchens bemerkte.
Nelli starrte ihren Vater wie einen Geisteskranken an. »Nun reg dich mal wieder ab, du Blödmann. In etwa zwei Wochen ist das weg.«
Ratamo war so erleichtert, daß er nicht einmal Lust hatte, sich darüber zu beschweren, wie sie mit ihm redete. Einen Augenblick lang hatte er schon befürchtet, Nelli hätte sich eine bleibende Tätowierung machen lassen. Er schlurfte ins Schlafzimmer, ließ sich aufs Bett fallen und dachte überhaupt nicht daran, die Pantoffeln auszuziehen.
Er müßte wieder einmal ernsthaft mit Nelli reden. Das Mädchen verhielt sich derzeit wie ein Teenager, obwohl sie erst zehn Jahre alt war. Und dabei hatte er in den letzten Wochen mehr Freizeit mit seiner Tochter verbracht als je zuvor. War das schon die Pubertät? Die durfte doch noch nicht anfangen! In diesem Frühjahr hatte Nelli aufgehört, Geige zu spielen, und war zweimal beim Rauchen und einmal beim Schulschwänzen erwischt worden. Ratamos düstere Gedanken wanderten vier Jahre zurück. Er fürchtete, die Traumata, die der Tod von Nellis Mutter hinterlassen hatte, könnten nun bewirken, daß die Pubertät schwieriger als gewöhnlich wurde. Oder lag die Ursache der Problemenur darin, daß die Kinder heutzutage einfach viel zu früh in die Welt der Erwachsenen hineingezogen wurden: Die kleinen Mädchen benutzten schon viel zu zeitig Make-up und BHs, die Kunden, denen man mit der Behauptung, es sei sexy, alles mögliche verkaufte, wurden immer jünger, und so wurden Kindern die Schönheitsideale der Erwachsenen aufgedrängt.
Ratamo machte sich auch Vorwürfe, weil in Nellis Leben die Muttergestalt fehlte. Ihm fiel seine neueste Freundin ein, eine bildende Künstlerin, die unter dem Namen Ilona Si unverständliche
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