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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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brachte. Er schaute hinüber zu den Zuschauerplätzen und versuchte seine Tochter Nelli zu entdecken; sie wollte die Zielankunft gemeinsam mit ihrer Großmutter Marketta verfolgen.
    Im Auslauf bekam Ratamo seine Teilnehmermedaille und einen Plastikbeutel mit einer Dose Saft, einer Banane und Rosinen. Er humpelte zur Zuschauertribüne; es wäre eine Genugtuung, gewissermaßen vom Logenplatz aus zu beobachten, wie Riitta ins Ziel trottete.
    Doch plötzlich erstarrte er. Riitta stand vor ihm, topfit und mit glückstrahlendem Gesicht.
    »Ich wollte schon anrufen und dich von einer Hundestreife suchen lassen. Warum hast du nicht vorher gesagt, daß du dich mit den Senioren ins Ziel schleichen willst«, spottete Riitta. Sie öffnete ihren Pferdeschwanz und wischte sich den Schweiß aus ihrem nußbraunen Haar.
    Ratamo konnte seinen Ärger nicht verbergen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der beim Münzenwerfen verloren hat. Wann zum Teufel hatte Riitta ihn überholt? Was sollte er nun sagen? Sollte er ihr gratulieren oder einen Witz machen? Er entschloß sich, lieber zu schweigen. Wer anderen eine Grube gräbt und selbst hineinfällt, sollte nicht noch weitergraben. Wie schaffte es Riitta nur, nach über vierzig Kilometern so frisch auszusehen? Es fiel ihm schwer zu glauben, daß auch sie vor einiger Zeit die Grenze zu den Dreißig überschritten hatte.
    »Nun werde nicht gleich wütend, es war ja nur ein Scherz. Du bist ziemlich groß und stämmig. Das sind schlechte Voraussetzungen für einen Marathonläufer.«
    Ratamo küßte Riitta auf die Wange, brummte etwas Unverständliches und ging zur Tribüne. Es dauerte eine Weile, bis er Marketta und Nelli entdeckte. Er wunderte sich, warum Marketta mit den Armen fuchtelte wie ein Kapellmeister. Nach dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren hatte seine Ex-Schwiegermutter fast genausoviel Verantwortung für Nelli übernommen wie er selbst. Deshalb achtete er sie sehr. Vielleicht nahm er ihre Hilfe sogar zu oft in Anspruch. Künftig würde das nicht mehr möglich sein: Marketta hatte im Sommer einen Partner gefunden.
    Nelli fiel ihrem Vater um den Hals und zeigte Riitta den erhobenen Daumen. Auf der Bank lagen eine Decke und darauf ein riesengroßer Beutel Bonbons, Comic-Hefte und ein Kinderbuch.
    »Jussi Ketonen hat dich zweimal angerufen«, sagte Marketta zu Riitta und reichte den Marathonläufern ihre Jacken. Als sie sah, daß Ratamo zuerst seine Kautabakdose aus der Brusttasche holte, schüttelte sie den Kopf.
    Riitta wählte Ketonens Nummer. Der Chef der Sicherheitspolizei mochte es nicht, wenn man ihn warten ließ.
    Nach dem fünften Klingeln ging der Vorgesetzte von Riitta Kuurma und Arto Ratamo ans Telefon. »Du wirst hier gebraucht, und zwar sofort. Ihr habt wohl keine Nachrichten gehört?« sagte Jussi Ketonen und schnaufte.
    »Ich bin mit Arto gerade einen Marathon gelaufen. Ich bin vor ihm …«
    Ketonen unterbrach seine Mitarbeiterin: »KommissarReinhart ist im Atheneum erschossen worden.« Riitta glaubte, Ketonen mache einen Scherz. Sie wartete einen Augenblick auf ein befreiendes Lachen, und als ihr klar wurde, daß es ausblieb, spürte sie sofort die Anspannung. Sie war die EU-Expertin der Sicherheitspolizei und schrieb ihre Examensarbeit über die Probleme im Beschlußfassungsprozeß der EU. »Das kann doch nicht wahr sein. Ein politischer Mord …«
    »Reg dich nicht auf. Mord ist Mord«, entgegnete Ketonen.
    »Ich fahre sofort los. Ich brauche ungefähr drei Stunden.«
    »Bring Ratamo mit. Das ist ein Fall für die Sicherheitsabteilung«, befahl Ketonen und beendete das Gespräch.
    Riitta erzählte Ratamo die Neuigkeiten. Der Mann, der sonst keine Miene verzog, sah nun endlich einmal verblüfft aus. In seinem Kopf schienen die Räder stillzustehen. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, was er da gehört hatte.
    »Fahren wir jetzt endlich?« Nelli zupfte ihren Vater am Ärmel.
    Wieder mußte er Marketta um einen Gefallen bitten. Ihm wurde schwindlig, er spuckte den Priem an den Wegesrand.
    Marketta ersparte ihm die Mühe, sie bitten zu müssen. »Ich habe heute einen freien Abend und kann mich um Nelli kümmern.«
    Ratamo drückte seiner Tochter einen Kuß auf die Wange. »Wir gehen schnell duschen und treffen uns dann am Auto«, rief er Marketta zu.
    Ratamo hoffte, daß der alte VW-Käfer die Strapazen durchstehen würde, die er ihm nun zumuten mußte. Ein EU-Kommissar war in Finnland ermordet worden. Die Gelegenheit, in einem solchen Mordfall zu ermitteln,

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