Finns Welt - 01 - Finn released
Meine Eltern können das wohl beide, wenn es darauf ankommt.
»Also gut«, sage ich, »wir wollten sogar, dass das gesendet wird, aber dann hat er gesagt, der Sender macht es doch nicht. Es sollte eine große Gage für uns geben. Und die wollte ich euch geben, für die Firma!«
Jetzt guckt meine Mutter eher betroffen als wütend. Sich Kampfhunden entgegenzuwerfen, ist anscheinend ein gültigeres Mittel zum Zweck als das Erzählen rührender Unfallgeschichten. Das findet sie zwar offensichtlich dumm, aber irgendwie heldenhaft. Oder so. Vielleicht fragt sie sich aber auch, was sie als Mutter alles falsch gemacht hat.
Mein Vater greift zum Telefon und sagt: »Ich rufe jetzt einen Anwalt an. Querfeldein. Dass ihr so einen Blödsinn macht, ist schon schlimm genug, aber dass ein Fernsehmensch euch auch noch dazu anstachelt … Die klage ich alle in Grund und Boden.«
Ich schnappe meinem Vater das Telefon weg. »Nicht, Papa. Das kostet doch alles Geld. Ein Anwalt ist superteuer. Ich kläre das selber.«
»Ja, das hat man ja eben gesehen, wie du das klärst. Dich hätte vorgestern fast ein Hund aufgefressen! Und du behauptest, du bist auf Exkursion für Bio.«
»Aber das war kein böser, großer Fernsehsender, der das gedreht hat, sondern ein ganz junger Mann. Ich weiß, wo er wohnt, und kläre das. Okay?«
»Ich komme mit.«
»Nein, Papa!«
»Wie, nein?«
Ich krame in meinem Gedächtnis herum und finde, was ich suche. »Weißt du noch, Sommerferien 2008, bei Opa in Dagebüll? Am Strand? Als ich diesen Streit mit diesem älteren Jungen hatte?«
»Ja, und?«
»Da wollte Mama dazwischengehen und du hast gesagt: ›Nein, Sabine, Jungs müssen lernen, sich selbst zu behaupten. Das Schlimmste, was man tun kann, ist, wenn sich öffentlich die Eltern danebenstellen. So wird man kein Mann.‹«
Mein Vater grummelt. Es ärgert ihn, dass ich mir alles merken kann. Es ist gut, wenn man sich alles merken kann. So kann alles, was die Eltern jemals gesagt haben, gegen sie verwendet werden. Die wichtigsten Sachen schreibe ich mir zu diesem Zweck sogar auf.
»Der Typ, der das gedreht hat, ist auch nur fünf, sechs Jahre älter als wir«, lüge ich. Mein Vater scheint noch nicht überzeugt zu sein. »Ich nehme Lukas und Flo mit und mein Handy. Und sobald wir dich brauchen, rufen wir an, okay?«
»Ich komme mit, bleibe im Auto unten vor der Tür stehen und wenn ihr mich braucht, ruft ihr mich sofort hoch«, sagt mein Vater. »Das ist der Deal.«
»Du hast doch gar kein Handy.«
»Ich nehme Mamas. Für so was mache ich mal eine Ausnahme. Abgemacht?«
»Abgemacht«, sage ich. »Aber, Papa?«
»Ja?«
»Sag den Jungs gegenüber nichts von unseren Problemen, mit dem Geld und mit der Firma, okay?«
»Hatte ich nicht vor«, sagt mein Vater. Dann zücken wir wieder beide Telefone, um den Jungs und den anderen Eltern Bescheid zu sagen.
Eine Stunde später stehen wir im Auto meines Vaters vor der Tür eines schäbigen Mietshauses mitten in der Innenstadt.
»Und du bist sicher, dass er hier wohnt?«, fragt Flo. Ich bin mir sicher, aber ich wundere mich auch.
»Ich denke, der macht Filme fürs Fernsehen«, sagt Lukas. »Müsste der da nicht eher eine Villa haben? So wie die, wo wir die Frau angeschwindelt haben? Mit Pool und großen Kiefern?« Neben dem Mietshaus ist eine Imbissbude mit Namen Juttas Schlemmertempel. Vor dem Haus steht ein grimmiger Bulgare.
»Wie hast du herausgefunden, wo er wohnt?«, will Flo wissen.
»Oh, das war kompliziert«, lüge ich. »Wir wussten ja gar nichts von ihm, außer dass er Jan-Eric heißt. Ich habe also damit angefangen, online im Telefonbuch alle Jan-Erics dieser Stadt abzufragen. Dann habe ich alle Nachnamen rausgesucht, die zu einem Mann von Mitte zwanzig passen.«
»Mitte zwanzig?«, fragt mein Vater. »Du hast gesagt, er sei nur fünf Jahre älter.« Er runzelt die Stirn, da ihm gerade klar wird, dass wohl kein Neunzehnjähriger schon fürs Fernsehen arbeitet. Meine Eltern glauben mir im ersten Moment eben alles. Aber nur im ersten.
»Du schwindelst«, sagt Lukas. »Bei der Polizei hat Jan-Eric seinen Nachnamen gesagt.«
»Ihr wart bei der Polizei?«, jault mein Vater.
»Also gut, erwischt«, sage ich, aber nicht zu meinem Vater, sondern zu Lukas. »Ich habe mir das Kennzeichen gemerkt. Direkt, als wir ihn das erste Mal getroffen haben. Am Rasthof.«
»Okay«, bohrt Lukas weiter, »und du hast Zugriff zur Kennzeichendatenbank der Polizei, oder was?«
»Nein«, lüge ich, »ich
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