Finster
gesehen?«
»Eigentlich nicht. Nur reichlich dunkle Häuser.«
»Es ist seltsam, zu dieser Zeit unterwegs zu sein«, sagte Eileen. »Alles ist so still. Es ist fast, als wären wir die einzigen Menschen auf der Erde.«
»Stimmt«, sagte ich.
Dann sah ich jemanden den Bürgersteig auf der rechten Seite der Straße entlanggehen. Ein Mädchen in dunklem
Sweatshirt und dunkler Hose. Sie schritt zügig und mit federndem Gang voran, ihre Arme schwangen hin und her, der Pferdeschwanz hüpfte hinter ihrem Kopf auf und ab.
Mein geheimnisvolles Mädchen.
Sie ist wieder unterwegs?
Offenbar.
Als wir an ihr vorbeifuhren, wandte ich den Kopf, um sie von vorne zu sehen.
»Was ist da?«, fragte Eileen.
Ich blickte ungezwungen nach vorne und sagte: »Es läuft nur jemand vorbei.«
»Vielleicht ein anderer Donutjäger«, meinte Eileen.
»Könnte sein.«
7
»Wohnst du noch in der Church Street?«, fragte sie.
»Ja.«
Letztes Jahr war Eileen aus dem einen oder anderen Grund öfter dort gewesen, was aber immer mit Holly zu tun gehabt hatte. Sie hatte Holly häufig bei mir abgesetzt oder sie abgeholt. Bei verschiedenen Gelegenheiten hatten wir uns auch in kleiner Runde getroffen.
Eileen und ich waren hin und wieder unter uns gewesen, zum Beispiel, wenn wir zu dritt beisammen waren und Holly im Bad verschwand oder irgendwelche Besorgungen machte. Es hatte sich nichts zwischen uns abgespielt. Falls Eileen sich zu mir hingezogen fühlte, behielt sie es für sich.
Und obwohl sie sehr hübsch war und ich sie als Mensch gern mochte, hatte ich nie etwas von ihr gewollt. Bis auf ihr schnellstmögliches Verschwinden, um mich mit Holly vergnügen zu können.
»Wohnst du noch in denselben Räumen?«
»Ja.«
»Stört dich das nicht?«
»Was?«
»Die vielen Erinnerungen.«
»Kann sein.«
Kann sein? In den letzten Wochen des vergangenen Studienjahres hatte Holly praktisch bei mir gewohnt. Jetzt löste jede Ecke jedes Zimmers und jedes Möbelstück süße, traurige Erinnerungen an sie aus. Obwohl sie sich leibhaftig woanders rumtrieb (in Jays Bett?), spukte sie durch meine Wohnung.
»Sie wollte dieses Semester bei mir einziehen«, sagte ich.
»Ich weiß. Hast du mal darüber nachgedacht, dir was anderes zu suchen?«
»Zu viel Aufwand. Ist ja auch nicht so wichtig.«
»Die ganzen Dinge, die an sie erinnern …«
»Das Leben geht weiter.«
Ich kann eine Menge Klischees vom Stapel lassen, wenn ich nichts zu sagen habe.
Diese Antwort brachte die Unterhaltung ziemlich zum Erliegen, bis wir die Church Street erreichten. In der Straße gab es tatsächlich mehrere Kirchen. Eine davon befand sich unmittelbar neben dem zweigeschossigen Ziegelgebäude, in dem ich wohnte.
» Das würde schon reichen, damit ich ausziehen würde«, kommentierte Eileen den Anblick der Kirche.
»Mich stört es nicht besonders.«
»Ich weiß. Mir würde es Angst einjagen.«
»Vielleicht weil du eine Heidin bist.«
Sie lachte. »Oder weil ich keine bin.« Sie hielt am Straßenrand vor meinem Haus. Mit der Hand am Zündschlüssel fragte sie: »Was dagegen, wenn ich kurz reinkomme?«
»Ich … äh …« Ehe ich eine Entscheidung treffen konnte, unterbrach mich Eileen.
»Ich muss dringend zur Toilette. Entschuldigung. Ich hätte im Donutshop gehen sollen, aber …«
»Nein, schon okay. Komm mit hoch.«
»Danke.« Sie schaltete Scheinwerfer und Motor aus und zog den Schlüssel aus der Zündung. »Ich beeil mich«, sagte sie. »Versprochen.«
»Kein Problem.«
Wir gingen zum Eingang. Ich schloss die Tür auf und drückte sie vorsichtig hinter uns wieder zu. Im Inneren herrschten Stille und der Geruch von kaltem Zigarettenrauch.
Wortlos durchquerten wir mit leisen Schritten den Flur und näherten uns der Wohnungstür der Vermieter.
Normalerweise stand sie offen.
Die Vermieter, Mr. und Mrs. Fisher, saßen meist vor dem Fernseher. Aber sie taten nur so, als sähen sie fern. In Wahrheit beobachteten sie den Flur vor ihrer Wohnung, der zur einzigen Treppe führte. Sie schienen eine unstillbare Neugier zu pflegen, was das Kommen und Gehen
ihrer Mieter betraf. Ich wusste, dass sie begeistert wären, mich zu dieser Uhrzeit mit Eileen zu erwischen.
Aber offenbar war es zu spät für sie. Die Tür war geschlossen. Als wir daran vorbeischlichen, konnte ich nicht einmal den Fernseher hören.
Ich rechnete halb damit, dass die Tür auffliegen würde, während wir die Treppe hinaufstiegen, aber nichts geschah. Schließlich erreichten wir den Absatz, bogen um
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