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Finster

Titel: Finster Kostenlos Bücher Online Lesen
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höchstwahrscheinlich eines der Zimmer gehörte, dessen Fenster sich direkt über der Veranda befanden. Drei Fenster blickten auf das Vordach hinaus. Es wäre ein Leichtes gewesen, aus einem dieser Fenster zu klettern, zum Rand des Verandadachs zu gehen, an einem der Stützpfosten zum Geländer hinunterzurutschen und dann auf den Rasen zu springen.
    War sie auf diese Weise früher in der Nacht aus dem Haus gelangt?
    Ich blickte zu den Fenstern über der Veranda. Zwei davon - oder auch alle drei - gehörten vermutlich zu ihrem Zimmer. Wahrscheinlich stand sie unmittelbar hinter einer der Glasscheiben … nah genug, um das spärliche Licht von außen zu nutzen.
    Aber ich konnte sie nicht sehen.
    Die Fenster wirkten wie Spiegel, die die dunkle Nacht und das Mondlicht reflektierten. Nur jemand, der auf dem Verandadach gestanden und das Gesicht an die
Scheibe gedrückt hätte, wäre in der Lage gewesen hineinzublicken.
    Ich stellte mir vor, dort oben zu sein.
    Der Gedanke erregte und entsetzte mich zugleich.
    Du machst wohl Witze.
    Dann wurde mir mit einem Mal klar, dass ich schon ziemlich lange hinter der Hecke kauerte und das Haus beobachtete … fünf Minuten? Zehn? Und wenn mich jemand dort lauern gesehen und die Polizei gerufen hatte?
    Ich möchte einen Voyeur melden.
    Einen Spanner.
    Verängstigt wirbelte ich herum, sprang auf und ging schnell davon. Jeden Moment könnte ein Nachbar nach mir rufen oder mich mit einer Waffe in der Hand aufhalten. Oder ein Streifenwagen könnte um die Ecke biegen und die Straße entlangrasen, um mich einzusacken.
    Ich hatte das Bedürfnis, zu rennen und das Haus des Mädchens weit hinter mir zu lassen.
    In Joggingklamotten wäre ich losgerannt. Aber ich trug Hemd und Jeans. Diese Kleidung hätte bei jedem, der mich durch die Nacht rennen sah, Verdacht erweckt. Also riss ich mich zusammen. Ich ging sogar etwas langsamer und gab mir größte Mühe, einen unbekümmerten Eindruck zu machen.
    Ich spitzte tatsächlich die Lippen, um eine Melodie zu pfeifen, doch der gesunde Menschenverstand hielt mich davon ab.
    Mit hämmerndem Herzen und ausgedörrtem Mund ging ich still weiter, während mir aus allen Poren der Schweiß brach.

    Niemand rief nach mir. Niemand verfolgte mich. Und es kamen auch keine Autos angerast.
    Schließlich erreichte ich das Ende des Häuserblocks. Ich überquerte die Franklin Street und folgte einer Seitenstraße nach Westen, bis ich wieder auf die Division Street gelangte. Äußerst erleichtert, davongekommen zu sein, ging ich zwei oder drei Blocks nach Norden, ehe ich mich wieder an die Fahrradhexe erinnerte.
    Ein Schauder lief über meinen heißen, verschwitzten Rücken, und meine Nackenhaare stellten sich auf.
    Ich wirbelte herum und sah hinter mich.
    Keine Spur von ihr. Natürlich nicht.
    Ich ging weiter und kam mir ein wenig albern vor, weil ich mir überhaupt von ihr Angst hatte einjagen lassen.
    Andererseits war ich auch froh darüber. Den Umweg über die Franklin Street hatte ich nur eingeschlagen, weil ich ihr aus dem Weg gehen wollte. Wenn ich das nicht getan hätte, wären das Mädchen und ich zwei Blocks entfernt aneinander vorbeigegangen und uns nie nahe gekommen.
    Eine Weile spielte ich mit der Idee, es sollte so sein, dass ich vor der Hexe floh und das Mädchen fand. (Mitten in der Nacht kommen mir oft seltsame Gedanken.) Vielleicht hatten die Mächte des Guten oder des Bösen der Hexe einen Auftrag erteilt: Erschreck Ed Logan zu Tode, so dass er hinüber zur Franklin Street läuft …
    Unwahrscheinlich.
    Aber ich hatte gefürchtet, sie würde mich im Vorüberfahren mit einem verdorrten Finger berühren und mit einem Fluch belegen. Deshalb war ich geflohen. Und vielleicht
war ich, indem ich vor einer harmlosen, leicht verrückten alten Schachtel geflüchtet war, an eine Art von Fluch geraten, den ich niemals erwartet hatte.
    Fluch oder Segen.
    Während ich die Division Street zu Dandi Donuts entlangging, fühlte ich mich verflucht und gesegnet … und verzaubert. Nicht von der Fahrradhexe, sondern von einem gewissen geheimnisvollen Mädchen, das den Bürgersteig und seine Geheimnisse mit mir geteilt hatte, unbemerkt im Schutz der Nacht von mir beobachtet.

5
    Schon aus mehr als einem Block Entfernung konnte ich den trüben Schein aus den großen Fenstern von Dandi Donuts über dem Bürgersteig schweben sehen.
    Wohnhäuser gab es hier keine mehr. Beide Seiten der Straße waren mit Geschäften gesäumt: ein Imbiss, ein Friseursalon, eine Tankstelle, ein

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