Finster
italienisches Restaurant namens Louie’s, ein Blumengeschäft, ein Secondhandladen. Alle waren geschlossen. In den meisten Geschäften war es dunkel, doch einige waren auch beleuchtet.
Das Schaufenster des Secondhandladens zum Beispiel. Dort standen im schummrigen Licht zwei armselige Schaufensterpuppen, von deren Gesichtern die verblasste Farbe abblätterte. Sie waren in seltsamen Posen eingefroren und blickten grundlos fröhlich.
Der dünne flotte Mann mit staubigem Zylinder und
Frack versuchte, Clark Gable zu imitieren, aber eine Seite seines Schnurrbarts fehlte. Seine Freundin, deren rote Perücke etwas schief saß, trug ein mit roten Pailletten besetztes Kleid wie ein modisches Mädchen aus den stürmischen Zwanzigerjahren. Die ursprüngliche Besitzerin des Kleids hatte sich wahrscheinlich mittlerweile genauso aufgelöst wie die zweite Hälfte von Clarks Schnurrbart.
Als ziemlich regelmäßiger Kunde von Dandi Donuts hatte ich den Secondhandladen schon früh in meinem ersten Jahr an der Uni entdeckt. Am Anfang hatten mich die ramponierten Schaufensterpuppen und ihre altmodische Kleidung amüsiert. Es hatte mir auch Spaß gemacht, die anderen im Fenster ausgestellten Dinge zu betrachten: altes Geschirr, Vasen, Schellackplatten und ein paar gerahmte Bilder. Aber dann, als ich eines Nachts allein zu Dandi Donuts gegangen war, war ich länger als gewöhnlich vor dem Fenster stehen geblieben. Damals hatte ich festgestellt, dass die Puppen, Kleider und eigentlich auch alles andere in dem Fenster Relikte des Todes waren.
Ihr Anblick machte mich beklommen und niedergeschlagen.
Bei meinem nächsten Ausflug zu Dandi Donuts ging ich auf der anderen Straßenseite und sah nicht hin, als ich an dem Laden vorbeikam. Aber ich wusste trotzdem, dass er dort war.
Danach mied ich den Donutshop. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich für immer davon fernzuhalten, aber in einer warmen Nacht im Spätfrühling des letzten Jahres gingen Holly und ich spazieren. Wir waren eine sehr lange Strecke gelaufen, und ich hatte nur Augen für Holly, nicht
für die Umgebung. Wir hielten uns an den Händen. Plötzlich blieb sie stehen. Und ich auch. Vor dem Fenster des Secondhandladens.
»Wow«, sagte sie. »Guck dir das Zeug an.«
Ich sah hin. Mit Holly an meiner Seite berührte mich die düstere Stimmung aus irgendeinem Grund nicht. »Clark Gable«, sagte ich.
»Sieht aus, als wäre die Hälfte seines Schnurrbarts vom Winde verweht !«
Ich lachte.
»Soll das da Scarlet darstellen?«, fragte sie.
»Wohl eher Zelda Fitzgerald, glaub ich.«
»Aber es muss Scarlet sein. Das rote Haar.«
»Tja, vielleicht.«
»Wenn du möchtest, dass es Zelda ist …«
»Nein, schon in Ordnung.«
»Fitzgerald hat über seine Frau geschrieben, stimmt’s?«
»Ich glaub schon. Ich meine, sie taucht in Zärtlich ist die Nacht auf. Aber er hat sie nicht Zelda genannt.«
Holly drehte sich zu mir und legte die Arme um mich, so wie sie es oft tat. Sie zog mich nicht an sich, sondern lehnte sich nur leicht gegen mich, so dass ich ihre Brüste spüren konnte, als sie den Kopf in den Nacken legte und mir in die Augen sah. »Werde ich irgendwann in einem deiner Bücher vorkommen?«
»Natürlich.« Es brachte mich immer in Verlegenheit und erregte mich, wenn sie davon sprach, dass ich ein Schriftsteller sein würde - als glaubte sie, dass es tatsächlich geschehen könnte.
»Aber benutz meinen richtigen Namen, ja? Findest du
nicht auch, dass Holly ein guter Name für mich in einem Roman wäre?«
Ich nickte. Mit einem anderen Namen konnte ich sie mir gar nicht vorstellen.
»Wenn du erfolgreich und berühmt bist«, sagte sie, »zeige ich das Buch meinen Kindern und erzähl ihnen von den alten Zeiten mit dir.«
»Du meinst unsere Kinder?« Ich wusste, dass sie nicht unsere Kinder gemeint hatte, aber ich fühlte mich gezwungen nachzufragen.
Sie blickte mich zärtlich und mit ernstem Gesichtsausdruck an und sagte: »Du hast etwas Besseres verdient als mich.«
»Was?« Ich hatte sie sehr gut verstanden.
»Du wirst eine andere finden, jemanden, der schöner und schlauer ist und …«
»Ich will aber keine andere.«
»Das glaubst du nur.«
»Ich liebe dich, Holly.«
»Du liebst deine Vorstellung von mir.«
»Was meinst du damit?«
»Vielleicht bin ich nicht die, für die du mich hältst.«
»Wer bist du dann?«
Mit einem sanften Lächeln schmiegte sie sich an mich und zitierte Emily Dickinson: »Ich bin Niemand! Wer bist du?«
»Du bist kein Niemand.
Weitere Kostenlose Bücher