Finsternis
auch nicht mehr an.“ Er hüpfte von dem Baumstamm runter und am liebsten hätte er sie jetzt alleine gelassen. Kind hin oder her. Was brauchte er eine Frau, die ihn nicht als echten Man ansah, nur weil er nicht töten konnte. „Willst du lieber das Messer haben, weil bis jetzt hast du ja soviel ohne mich geschafft. Mich hast du mit dem Messer geschnitten, niemanden sonst …“
„Du weißt, wie ich das meine, also tu jetzt nicht so wie ein kleine Junge, der eine Strafe aufg ebrummt bekommen hat.“
„Wie soll ich dann reagieren?“
„Wie ein Mann!“
Und da war es wieder. Martin verstand, dass er in seiner Männlichkeit nicht mehr ernst geno mmen wurde. Er war für sie nicht mehr der Mann, der er einmal gewesen war. Er musste sich wieder in ihrer Gunst suhlen können. Er musste sie beschützen und ihr zeigen, dass er das konnte.
Plötzlich hörten sie ein Knurren.
„Was war das?“
„Ich habe keine …“
Ein schriller, gellender Schrei drang an ihre Ohren.
„Komm!“, sagte Martin und packte Abby an ihrer Hand. Sie rannten einige Schritte, dann löste sich Abby von Martins Hand.
„Es hörte sich an wie eine Stimme aus der Hölle.“
„Komm, Abby, du wirst hier noch verrückt.“
Abby dachte sich, dass sie etwas festzuhalten schien. Wenn sie heil aus dieser Misere herauskommt, dann haftet etwas an ihr, das niemals mehr von ihr weichen würde. Der Wald war in ihrem Kopf. Etwas, das sich in ihre Köpfe gepflanzt hatte. Wieder nahm Martin die Hand von Abby und zwang sie zum Laufen. Abby lief, nicht widerwillig, aber langsam. Die Glieder taten ihr weh und wenn sie weiter daran dachte, dass sie Gedanken mitnehmen würde, die sie nie wieder verarbeiten konnte, so wurde ihr ganz anders zu Mute. Wahrscheinlich halfen ihr nicht einmal lebenslange Therapien bei Spezialisten. Es stimmte, sie würde diesen Ort nie wieder vergessen können, solange sie denken und atmen konnte.
Sie lauschten dem Wald, denn er veränderte sich. Denn langsam wurde aus dem hellen Grau ein helles Blau, wieder mehr Umrisse waren zu erkennen, der Nebel kroch höher und höher … es wurde heller.
Kapitel 6
Götterdämmerung
„Heilige Scheiße“, sagte Damien. Ich war hinter ihm her gegangen und hatte nicht sofort gesehen, was er sah. Doch ich konnte es mir denken. Als ich meinen Blick vom Boden hob, war der erste Anflug von Sonne, von Licht zu erkennen, von etwas anderem als dieser verdammten Finsternis. Der Schatten der Hölle wurde zurückgedrängt.
Ich schloss zu Damien auf. Er blieb neben mir stehen und s tarrte zwischen den Bäumen hindurch. Am Ende einer von düsteren Wäldern durchwachsenen Verformung war etwas Licht zu erkennen und eine Lichtung war in Sicht.
„Nicht schlecht“, sagte ich Damien und dieser, mit hoffnungsvollem aber müdem Blick, sagte, dass er sich fast sicher füh lte.
Ich war rechts neben ihm und veranlasste ihn weiter zu gehen, schubste ihn an und lachte. Durch die ersten Sonnenstrahlen, die durch die dunklen Wälder stießen, sah ich wie Damiens Gesichtshaut leicht glänzte, war es Schweiß, wahrscheinlich. Der Dreck hatte sich während unserer Jagd durch den Wald verflüchtigt und seine Haut kam wieder zum Vorschein, seine wunderschöne Haut. Ich küsste ihn und Damien sah mich mit gutmütigem Blick an. Wir gingen schnelleren Schrittes der Lichtung entgegen und dort erblickten wir eine Wiese, die beinahe ins Endlose ging. Der Bach hatte sich dem Landschaftsverlauf angepasst und hatte die Form einer sich windenden, großen Schlange.
Wir schritten aus dem Wald hinaus . Es wurde heller, immer heller.
„Damien, denkst du dasselbe wie ich?“, fragte ich aufgeregt.
„Fahrt zur Hölle, ihr Missgeburten.“ Dann begannen wir wieder ein wenig zu laufen. Ich hatte in etwa ähnliche Gedanken gehabt. Viel wichtiger war mir aber, dass wir überlebt hatten, die Nacht heil überstanden hatten und noch weitere Nächte in unserem Leben folgen würden. Damien lächelte ebenso ein wenig und zu seinem hoffnungsvollen und müden Blick kam Erleichterung hinzu und ich war froh, diesen Gesichtszug wieder an ihm zu erkennen.
Es fühlte sich gut an mit Damien zusammen zu sein. Besser als mit irgendeinem anderen Mann, dachte ich mir. Seit wir aus dem Wald hinausgekommen waren – unseren Siegeszug erfolgreich beendet hatten – hatte ich nicht mehr die Gelegenheit gehabt, mein Leben aufzuarbeiten, neu zu ordnen, einzelne
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