Finsternis
sollte. Mit einer Handbewegung musste ich ihn während seiner überschwänglichen Ideen leider abwürgen und zum Schweigen bringen, denn ich hatte mich (irgendwie) verfahren.
„Verfahren?“, sagte er, „du kommst zu deiner eigenen Lesung zu spät“, bläffte er lauthals.
„Nur mit der Ruhe“, beschwichtigte ich lächelnd. „Dieses Auto ist ein Wunderwerk der Technik, es hat ein eingebautes GPS-System. Darf ich es dir vorführen?“, sagte ich mit einem Grinsen, das der Grinse-Katze aus Alice im Wunderland täuschend nahe kam.
Samuel lachte ebenso vergnügt und war gespannt auf die Vorführung. Von Technik hielten wir beide nicht viel, aber wenn es um ein GPS ging, dann schon! Auf jeden Fall holte ich die Bedienungsanleitung hervor, Samuel studierte das Englische und ich das Italienische, da wir das Deutsche nicht fanden. Doch mit der Kenntnis beider Sprachen schafften wir es die Fahrt – mit grünem GPS-Signal und berechneter Route – wieder aufzunehmen.
Wir hatten uns ein wenig verfahren – aber nicht so dramatisch wie anfangs gedacht. Laut dem GPS würden wir rechtzeitig – ohne jegliche Verspätung – bei Shake & Book erscheinen.
„Fahren S ie gerade aus und an der nächsten Kreuzung rechts“, hatte das blöde Ding gesagt und nachdem ich abgebogen war, schleuderte es uns über einige Schlaglöcher. Ein Jeep hält so was aus, aber nicht diese billigen und neumodernen GPS-Geräte. Auf jeden Fall schleuderte es nicht nur uns durch, sondern auch die Speicher-Chips und elektronischen Daten der Einstellung Sprache und wir hörten fortan nur mehr eine säuselnde Stimme: „… et au prochain croise-ment vous tournez à gauche …“
„Was sagt sie?“ – „Ich verstehe kein Franzö sisch.“ (Memo an mich: Einen Französischkurs auf der Volkshochschule belegen.)
„Schalt doch um!“, sagte ich zu Samuel (ich musste mich doch auf die Straße konzentrieren), der drückte irgendwas und aus dem verdammten Lautsprecher kam ebenso irgendwas: „…jusqu’au deuxième feu, à droite …et au prochain croise-ment je tourne à gauche …“
„Die will mich wohl verarschen?“, rief Samuel laut, der verzweifelt an dem Gerätchen herumdrückte wie früher am Gameboy. Jetzt schüttelte es uns nochmals durch, ich hatte vor Aufregung wieder ein Schlagloch übersehen. „Verdammt, meine Hämorrhoiden“, rief Samuel schmerzverzerrt und eine uns wohlbekannte Stimme, nun etwas männlicher, dröhnte aus den Lautsprecherboxen: „… гибри́д … на пра́вой стороне́ …“
„Oh, nein, scheiße“, sagte ich und fuhr das Auto zum Straßenrand.
„Deine Lesung!“, rief Samuel erneut voller Verzweiflung, der als erfolgloser Schriftsteller nur an den tosenden Applaus dachte, der mir beim Absagen meiner Lesung entgehen würde. Ich sah meine einzige Möglichkeit darin, mein Handy zu zücken und Damien anzurufen, der geographisch (normalerweise) Routen und Strecken im Schlaf berechnen konnte. Hätte ich mit meinen Ortskenntnissen nicht versagt, hätte er niemals etwas von diesem Fiasko erfahren. Damien lotste mich also durch die Stadt, durch Stock und Stein und ich kam – ein wenig verspätet – zur Eröffnungsfeier einer neuen Filiale von Shake & Book an. Mit großem Getöse und Applaus wurden ich und mein bester Freund empfangen. Samuel konnte ein paar Zeilen – als von mir angekündigter Überraschungsgast – ebenso lesen und lernte einen Literaturkritiker aus der örtlichen Buch-Kritik-Revue kennen, der ihn in die Zeitung bringen wollte.
„Lass diese alten Geschichten, Damien“, sagte ich gequält. Er sprach kein Wort mehr und sein Schweigen regte mich zu keinen verbalen Ergüssen an, so schwiegen wir uns in seinem kleinen Cabrio an.
„Verdammt, wir haben uns wirklich verfahren“, sagte er nach einer Weile. Irgendwie überrasc hte mich das nicht sonderlich, denn dass wir uns verfahren hatten, dachte ich schon seit geraumer Zeit. Damien fluchte und schlug mit der Faust gegen das Lenkrad. Macho , war ein weniger gemeines Wort, das mir durch den Kopf ging! „Das Lenkrad kann nichts dafür“, bellte ich ihn an.
Mich erinnerte diese Situation an Weihnachten auf der Autobahn von vor zwei Jahren. Kurz vor München musste es gewesen sein. Die Weihnachtsfeiertage wollten wir im neuen Haus von me inen Eltern verbringen; zu diesem Zeitpunkt war ich schon drei Monate fest mit Damien zusammen und fand es nur gerechtfertigt meine Eltern wissen zu
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