Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
wandte sich ab und fing an, die Sachen wegzuräumen, die er gebraucht hatte, um den Narren zu verarzten. »Doch zu ih nen wollte sie nicht ge hen.« Sein Ton fall schien die nächste Frage regelrecht herauszufordern.
»Sie geht fort«, sagte ich kläglich. »Sie geht fort von hier.« Ich setzte mich auf den Stuhl vor Burrichs Kamin, klemmte die Hände zwischen die Knie und wiegte mich vor und zurück.
»Bist du erfolgreich gewesen?«, erkundigte sich der Narr mit ruhiger Stimme.
Ich saß still. Im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, wovon er redete. »Ja«, antwortete ich dumpf. »Ja, ich glaube schon.« Erfolgreich auch darin, Molly zu verlieren. Erfolgreich darin, ihre
Treue und Liebe zu erschöpfen, indem ich mich wie selbstverständlich davon bediente; erfolgreich darin, so logisch und vernünftig und mei nem König ergeben zu sein, dass ich ge rade eben jede Chance auf ein eigenes Leben verspielt hatte. Ich sah Bur rich an. »Hast du Phi lia geliebt?«, fragte ich. »Als du beschlossen hast, sie zu verlassen?«
Der Narr hob ruckartig den Kopf und bekam kugelrunde Augen. Dann gab es also ein paar Ge heimnisse, von de nen selbst er nichts wusste. Burrichs Gesicht verfinsterte sich so sehr, wie ich es noch nie gesehen hatte. Er verschränkte die Arme vor der Brust, wie um sich selbst da ran zu hindern, etwas Unbeherrschtes zu tun. Mich zu töten, vielleicht. Oder vielleicht wollte er nur ei nen Schmerz in seinem Innern einschließen. »Bitte«, fügte ich noch hinzu, »ich muss es wissen.«
Er sah mich unter gerunzelten Brauen hervor an. »Ich bin kein wankelmütiger Mann«, sagte er schwer. »Hätte ich sie geliebt, würde ich sie immer noch lieben.«
Der Schmerz würde also nie vergehen. »Trotzdem hast du die Entscheidung getroffen …«
»Jemand musste entscheiden. Philia wollte nicht einsehen, dass es nicht sein konnte. Jemand musste die Qual beenden.«
Genauso wie Molly für uns entschieden hatte. Ich versuchte krampfhaft, mir zu überlegen, was ich jetzt tun sollte. In mei nem Kopf herrschte nur Leere. Ich schaute den Narren an. »Fühlst du dich besser?«, fragte ich ihn.
»Besser als du«, antwortete er ernst.
»Ich meinte, deine Schulter. Sie ist …«
»Verrenkt, aber nicht gebrochen. In viel besserem Zustand als dein Herz.«
Wie Burrich blieb auch er sich stets treu, Meister des schlagfertigen Wortwitzes, aber ich hatte nicht gewusst, dass er seine Pointen
mit so viel Wärme vorzutragen vermochte. So viel Freundlichkeit war fast schon zu schwer zu ertragen. Ich fühlte, wie mir die Tränen in den Augen brannten. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte ich verzweifelt. »Wie soll ich damit weiterleben?«
Die Branntweinflasche wurde mit ei nem dumpfen Knall mitten auf den Tisch gestellt, Burrich verteilte drei Becher. »Wir werden trinken«, sagte er, »darauf, dass Molly irgendwo anders ihr Glück findet. Wir wollen es ihr von ganzem Herzen wünschen.«
Wir tranken eine Runde, und Burrich schenkte nach.
Der Narr setzte eine zweifelnde Miene auf. »Ist das vernünftig, gerade jetzt?«, fragte er.
»Gerade jetzt habe ich genug davon, vernünftig zu sein«, antwortete ich. »Lieber bin ich ein Narr.«
»Du weißt nicht, wovon du sprichst«, belehrte er mich, doch trotzdem hob er mit mir zusammen den Be cher. Auf Narren jeder Art und Weise. Vor allen Dingen weise. Und ein drittes Mal, auf unseren König.
Wir taten unser Bestes, aber das Schicksal ließ uns nicht genügend Zeit. Ein entschiedenes Klopfen an Burrichs Tür kündigte Lacey an. Sie hatte einen Henkelkorb am Arm, kam schnell herein und schloss die Tür gleich wieder hinter sich zu. »Befreit mich davon, seid so gut«, sagte sie und ließ das tote Huhn auf den Tisch plumpsen.
»Mittagessen!«, verkündete der Narr begeistert.
Lacey brauchte eine Minute, um zu erkennen, in welchem Zustand wir uns befanden, aber dann fuhr sie hoch wie eine Stichflamme. »Wäh rend wir unser Leben und unseren guten Ruf aufs Spiel setzen, habt ihr nichts Besseres zu tun, als euch zu betrinken.« Sie ging auf Bur rich los. »Hast du in zwanzig Jahren nicht gelernt, dass damit keine Probleme zu lösen sind?«
Burrich blieb von ihrer Empörung ungerührt. »Manche Probleme
kann man nicht lösen«, bemerkte er phi losophisch, »und ein guter Schluck macht sie um einiges erträglicher.« Mühelos erhob er sich und stand vor ihr wie ein Baum. In all den Jah ren des Trinkens schien er gelernt zu haben, damit umzugehen. »Weshalb bist du
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