Flachskopf
selbst ihren Finger in den offenen Mund, um ihn zu zeigen. Potter hatte den Kopf nach hinten geworfen, den Körper etwas zurückgebogen, und gerade als Kornelie den Finger in seinen Mund schob, um den kranken Zahn zu zeigen, versetzte ihm Flachskopf, der gerade davor stand, einen so gewaltigen Stoß vor den Bauch, daß Potter erschrocken den Mund zuklappte und Kornelie in den Finger biß. Diese gab einen Schrei von sich, der den ganzen Jahrmarktslärm übertönte, und versetzte Potter wütend eine schallende Ohrfeige.
Den ferneren Verlauf der Sache hat Flachskopf nicht mehr gesehen. Er tauchte blitzschnell in der Menschenmenge unter, und nachdem er noch einmal die Runde um den Markt gemacht hatte, ging er nach Hause.
Es ging nun auf elf Uhr zu. Das Land glühte in der Sommersonne, kein Blatt rührte, keine Ähre bewegte sich.
Flachskopf versuchte einige Noten auf seiner Blechflöte, sang eine Strophe von dem »edlen Kind«, dann ein lustig-derbes Liebeslied, daß seine Stimme durch den leeren Raum schallte, und er stellte mit Befriedigung fest, daß ihm noch anderthalb Cent übriggeblieben war.
Und wo Flachskopf landete
E s war am Abend jenes Samstags, an dem Flachskopf, auf dem Heimweg aus der Schule, bei Jef Joris eine Fensterscheibe zerschmissen hatte. Natürlich war das ein Versehen gewesen; denn er hatte nach Dabbes Mütze geworfen, die auf einem Baum hing, und der Stein war an einem Ast abgesprungen und ins Fenster gesaust. Dries, der Dorfpolizist, hatte es dummerweise gerade gesehen und seinen Vater davon in Kenntnis gesetzt. Flachskopf hatte eine ordentliche Tracht Prügel bekommen und war ohne Essen ins Bett geschickt worden.
Die Kammertür war offen, und die Lampe, die in der Wohnstube auf dem Tisch stand, zeichnete einen langen hellen Streifen an der Decke über seinem Kopf. Flachskopf lag mit offenen Augen da und betrachtete nachdenklich den Haken an der Decke. Wie schwarze Nägelköpfe saßen dort auch einige Fliegen. In der Wohnstube stopfte die Mutter Strümpfe, und der Vater rauchte seine Pfeife. Heini und Nis waren ins Dorf gegangen, um sich rasieren zu lassen. Im ganzen Hause herrschte abendliche Stille.
»Ich werde morgen die Fensterscheibe bezahlen«, hörte er die Mutter plötzlich sagen. Eine Weile später antwortete der Vater darauf:
»Ich möchte, verdammt! wissen, was wir mit dem Bengel anfangen sollen... Im Herbst soll er aus der Schule kommen... Er wird nun bald dreizehn Jahr .«
»Am zehnten im Allerheiligenmonat«, ergänzte die Mutter.
»Und er lernt in der Schule doch weiter nichts als Dummheiten .«
Flachskopf, der das im Bett hörte, hätte am liebsten gerufen, daß es in der Tat so sei.
»Sobald die Ferien losgehen, muß er mit aufs Feld«, fügte der Vater nach einer Weile noch hinzu.
Dann wurde es ganz still. Flachskopf lag noch geraume Zeit mit offenen Augen da, überlegte, was da zu machen wäre, und schlief endlich ein.
Am nächsten Tag, einem Sonntag, besuchte Flachskopf den Nachmittagsgottesdienst in der Kirche von Averbode und betete mit tiefer Inbrunst. Als alle Leute bis auf ein paar fromme Seelen der Brüderschaft die Kirche verlassen hatten, klingelte Flachskopf an der Tür des Klosters, etwas beängstigt durch das, was er vorhatte. »Ist der Pater zu sprechen, dem die Druckerei des Klosters gehört ?« fragte Flachskopf schüchtern.
»Ich werde mal nachsehen ,« antwortete der Bruder; »worum handelt es sich?«
Flachskopf hätte am liebsten gesagt:»Das geht Sie nichts an !« Aber er überlegte sich beizeiten, daß so ein Bruder unter Umständen ein gutes Wort für ihn einlegen könnte.
»...Ich weiß nicht... Vielleicht, um in die Druckerei zu kommen... Wie denken Sie darüber ?«
»Warte hier einen Augenblick !« Und der Bruder führte ihn ins Sprechzimmer.
Flachskopf stand neben dem Tisch im großen Zimmer, die Mütze in der Hand. Er hörte sein Herz klopfen. Auf dem Tisch stand ein Glas halbvoll schmutzigen Wassers, in dem ein vertrockneter Buchsbaumzweig steckte, und daneben lag ein Gebetbuch. An der Wand, gegenüber den beiden hohen Fenstern mit grünlichen Scheiben, hing das Bildnis eines Prälaten. Auf dem Kamin stand ein Madonnenbild unter einer Glasglocke. Er warf einen Blick in die Ecke, ob dort nicht eine Zigarrenkiste stände...
Die Tür ging auf — alle Türen machten hier so viel Lärm —, und ein Benediktiner in weißem Gewand, der Leiter der Druckerei, trat herein. Flachskopf hatte stets den Klosterherren gegenüber eine gewisse
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