Flachskopf
den Kramläden und Zelten wimmelte es von Bauern und Bäuerinnen im Sonntagsstaat. Auf der Kegelbahn, unmittelbar vor der Kneipe von Peer Pastrei, war das Spiel in vollem Gang.
Flachskopf und Tist fingen an zu laufen und landeten keuchend mitten im Gedränge. Flachskopf kümmerte sich nicht mehr um Tist. Er konnte seine Gesellschaft sehr gut entbehren, und der Frank hatte ihm die Laune auch etwas verdorben. Sein Herz klopfte vor Freude, daß er nun hier war. Er sah sich einen Augenblick den ganzen Spaß an, um den vollen Genuß in sich aufzunehmen. In der Luft hing der Geruch von Pfannkuchen, die Menschen sahen alle so festlich und glücklich aus, die Kramläden glitzerten so verlockend, daß Flachskopf das Herz vor lauter Freude schwoll.
Die Zelte waren an den vier Straßenecken nebeneinander aufgebaut, mit schmalen Zwischenräumen für die kleinen Jahrmarktswagen oder Schubkarren. Flachskopf betrachtete erst den kleinen Tisch des Quacksalbers, auf dem in einem Kästchen mit Glasdeckel ein paar Gebisse mit blutigrotem Zahnfleisch zur Schau gestellt waren, und daneben zwei Medaillen, die wie Gold glänzten. Der Quacksalber war noch nicht da; ein altes häßliches Weib stand neben dem kleinen Tisch, und sooft jemand davor stehen blieb, sagte sie mit einer schwachen, flehenden Stimme, daß der »Herr« gleich käme, daß er eiligst ins Kloster gerufen worden wäre, um einem der Herren einen Zahn zu ziehen. Das war natürlich eine mächtige Empfehlung, die auf die Leute Eindruck machte, und sie betrachteten das Weib mit einer gewissen Ehrfurcht. Flachskopf fand, daß sie ein unerträgliches Gesicht hatte, und er streckte ihr dann auch die Zunge heraus, als sie ihn zufällig anguckte. Etwas weiter blieb er vor einem Laden stehen, auf dem in buntestem Durcheinander allerlei Gegenstände ausgebreitet lagen: große und kleine Puppen, Kreisel, Trommeln, Peitschen, Schuhkremschachteln, Kämme, Seife, Zwirn, Bürsten, Schnürsenkel, Almanache, Heiligenbilder. Alles war vertreten, und eine ganze Menge Leute, vor allem Frauen, sahen sich den Krempel an. Flachskopf drängte sich hindurch, sah die Blechflöten gerade vor seiner Nase liegen, versuchte sofort eine und zahlte fünf Cent. Er kämpfte sich wieder durch das Gedränge, setzte die Flöte an den Mund, ließ die Finger über die sechs Löcher gleiten und spielte andächtig eine Tonleiter. Dann schob er die Flöte in seine Innentasche und dachte gleichzeitig daran, daß ihm nur noch acht Cent übriggeblieben waren. Die konnte er nun aber mit ruhigem Gewissen ausgeben. Vor der Bude, wo mit Ringen geworfen wurde, standen viele Jungen und guckten mit begierigen Augen nach den herrlichen Sachen, die man für fünf Cent gewinnen konnte. Taschenmesser, vernickelte Töpfe, Flaschen mit Likör, Dolche, vergoldete Figuren und vieles andere waren mit ein wenig Glück und Geschicklichkeit zu gewinnen. Wenn man so davorstand, schien es eine Kleinigkeit, einen Ring darüber zu werfen, die Sachen standen kaum einen Meter entfernt, und doch war es anscheinend nicht so leicht. Franz Pastor versuchte es; der erste Ring flog mit solcher Gewalt gegen einen Napoleon aus Nickel, daß dieser wackelte, — aber der Ring lag daneben. »Donnerwetter !« brummte Franz, selber erschrocken, »ich warf nach diesem Dolch, und ich hätte beinahe ein Standbildchen gehabt.«
»Eine Niete !« spottete Flachskopf.
»Du mußt etwas höher werfen«, riet einer.
Franz versuchte seinen zweiten Ring, zielte etwas höher, mit gespanntem Körper, das linke Bein nach hinten gestellt, die Augen starr auf den Dolch gerichtet, und sein rechter Arm bewegte sich langsam von unten nach oben. Der Ring flog zu hoch und fiel verloren zwischen das Zeug. Franz sagte noch lauter: »Donnerwetter !« Er konnte es nicht begreifen.
»Noch eine Niete !« lachte Flachskopf, der nun dicht neben ihm stand. Franz warf ihm einen zornigen Blick zu und schnauzte ihn an: »Ich werde dir gleich eine Niete aufs Maul kleben, du Aas !«
Er warf nun den dritten Ring, wieder ohne etwas zu treffen. Flachskopf, der sich ein wenig zurückgezogen hatte, rief noch einmal: »Schon wieder eine Niete !« Franz war wütend, weil er fühlte, daß man ihn auslachte, und fuhr den Budeninhaber an: »Ich glaube nicht, daß es bei dem Spiel mit rechten Dingen zugeht !«
Der Mann protestierte scheinbar entrüstet, berief sich auf seinen seligen Vater, auf seine ganze Verwandtschaft, Lebende und Tote, und behauptete, daß Franz sich nur über seine eigene
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