Flammen der Rache
gewarnt, dass du die Nächste sein würdest, falls ich … falls ich …« Er konnte einen Moment nicht weitersprechen. »Ich sehe es noch immer vor mir. Egal, ob meine Augen offen sind oder geschlossen. All das viele Blut. Ich ertrage es nicht länger. Ich habe versucht, mir das Leben zu nehmen, um deine Sicherheit zu garantieren. Warum sollten sie dich bestrafen, wenn ich tot bin? Aber ich war nie Manns genug, die Sache zu Ende zu bringen.« Seine Stimme ging in ein Schluchzen über, seine Hände zitterten.
Lily hielt seine Finger fest und unterdrückte ein Frösteln. Die Qual in Howards Augen war sehr real. Ob die Erinnerungen, die er schilderte, ebenfalls real waren, erschien ihr eher unwahrscheinlich, trotzdem machte das seinen Schmerz nicht geringer.
Aber eigentlich klang es nicht wie unzusammenhängendes Gefasel, sondern … echt.
Lily musterte ihn. Sie hatte Hausarbeiten für zukünftige Mediziner über posttraumatische Belastungsstörungen bei Kriegsveteranen, über Opfer von Vergewaltigungen oder von anderen gewaltsamen Übergriffen geschrieben. Und Howard hatte solche Angst vor Blut. Das war schon so, seit sie denken konnte. Könnte dies die Ursache sein …?
Nein. Ausgeschlossen. Er litt an einer mentalen Erkrankung. Sein jahrelanger Drogenmissbrauch hatte sein Hirn geschädigt. Sie würde nicht darauf reinfallen. Sie war erwachsen. Sie wusste es besser.
Aber immerhin gab Howard nun endlich Details seiner Wahnvorstellungen preis, was er nie zuvor getan hatte. Sein Psychiater, Dr. Stark, beklagte sich laufend, dass Howard sich jeder Gesprächstherapie verweigerte. Vielleicht könnte er diese Informationen für seine Behandlung nutzen. Lily durfte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, ganz gleich, wie unheimlich das Ganze war.
»Wer war diese Magda für dich?«, hakte sie nach. »Erzähl mir mehr.«
Howard schüttelte den Kopf, trotzdem sprach er weiter, als wünschte sich ein Teil von ihm verzweifelt, aus dem Käfig seiner Ängste auszubrechen.
»Magda besucht mich regelmäßig«, murmelte er. »Sie sagt, ich soll ihren Sohn aufspüren und ihn warnen. Aber ich kann nicht. Du könntest ihn ausfindig machen, Lily.«
»Wer? Ich? Wer ist Magdas Sohn? Und was soll ich ihm sagen?«
»Psst!«, zischte er und zog sie an der Hand näher, bis ihr Hintern von dem harten Stuhl runterrutschte. Sie setzte sich auf die Bettkante und beugte sich zu ihm, um sein heiseres Flüstern zu verstehen. »Du könntest es ihm sagen. Er muss es wegsperren. Darin ist der Schlüssel. Es ist der Schlüssel zu allem. Ihr Sohn wird Bescheid wissen, wenn er es öffnet.«
Er verdrehte die Augen. Seine Kraft schwand, und die Angst gewann die Oberhand. Lily fragte schnell nach, um ihn am Reden zu halten. »Wenn er was öffnet, Howard?«
»Er wird es wissen«, murmelte ihr Vater. »Magda hat gesagt, dass er verstehen wird, sobald er es öffnet und er …«
»Was um alles in der Welt ist hier los?«
Beide fuhren vor Schreck zusammen.
Miriam stand in der Tür, und ihre großen Augen funkelten vor Zorn. »Was hat das hier zu bedeuten?«, fuhr sie Lily mit rasiermesserscharfer Stimme an.
Lily bewegte tonlos die Lippen, während sie nach Worten suchte, um den unerklärbaren Zorn der Frau zu beschwichtigen. »Wir haben uns nur unterhalten …«
»Unterhalten?« Miriams Stimme traf sie wie ein Peitschenhieb. »Sehen Sie ihn doch nur an! Sie regen ihn absichtlich auf!«
Lily schaute zu ihrem Vater. Er hatte ihr seine Hand entzogen und die Arme um seine Knie geschlungen. Aus seinen fest zusammengepressten Augen rannen Tränen.
Mist. Dieser kurze, seltene Moment der Offenheit war schon wieder verflogen, und das nur wegen des beschissenen Timings dieser blöden Krankenschwester.
Verdammt!
»Nein«, antwortete Lily zähneknirschend. »Es ging ihm bestens! Sie waren es, die ihn aufgeregt hat, indem Sie wie eine Furie hier reingestürzt kamen! Howard, fahr einfach fort mit deiner Geschichte über Magda und ihren …«
»Nein!« Er zuckte zurück, als hätte sie ihn geohrfeigt.«Ich habe überhaupt nichts gesagt! Ich hatte nur einen dummen Anfall! Ich bin ein verrückter alter Mann, ein paranoider Junkie! Halt dich fern von mir, bevor ich dich mit in den Abgrund reiße! Du solltest mich nicht mehr besuchen kommen! Das habe ich dir bereits gesagt! Bitte, geh jetzt!«
Ja, das hatte er. Andererseits hatte er sie nie aufgefordert, keine Schecks mehr auszustellen. Obwohl sie zugeben musste, dass es ihm womöglich nie in den Sinn
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