Flammen im Sand
Schnittführung von Sörens Hemd zu machen, während Mamma
Carlotta das Geschirr zusammenstellte. Sie schnalzte ärgerlich mit der Zunge,
als sie die Reste begutachtete, und fragte sich gerade, ob sie fürs Abendessen
reichen würden, da sah sie Frau Kemmertöns vor dem Küchenfenster vorbeigehen.
Zwei Minuten später saà die Nachbarin am Tisch, aà eine gefüllte
Artischocke und lieà sich das Rezept erklären. Natürlich erfuhr sie bei dieser
Gelegenheit ebenfalls, dass das Modeatelier neuerdings auch Mode für die reife
und die mollige Dame herstellte und demnächst in einer Modenschau präsentieren
wollte. Frau Kemmertöns, die sowohl reif als auch mollig war, staunte nicht
schlecht, als Mamma Carlotta berichtete, dass sie vom Fleck weg engagiert worden
sei.
»Eigentlich wollte ich ja nur Carolina von ihrem Praktikumsplatz
abholen und dabei einen winzigen Blick in die Schneiderwerkstatt werfen, weil
ich doch selbst so gerne nähe. Aber nun werde ich auf der Modenschau die Mode
für die mollige und reife Dame vorführen.«
Frau Kemmertöns war so beeindruckt, wie Mamma Carlotta erhofft
hatte, und erfreulicherweise bereit, ausführlich zu erörtern, warum die eine
Schwester so nett und die andere so unsympathisch sei und warum das Schicksal
die eine mit einem unausstehlichen Lebenspartner und die andere mit einem verheirateten
Geliebten bedacht hatte.
»Die arme Marikke«, seufzte Frau Kemmertöns erwartungsgemäÃ, die mit
Marikke Tadsen zur Schule gegangen war. »Als Kind war sie immer so fröhlich.
Und der Familie ging es finanziell sehr gut. Der Baustoffhandel florierte, der
kleine Baumarkt, den Marikkes Vater eröffnet hatte, lief von Anfang an
prächtig. Und dann heiratete Marikke einen Mann, der gut fürs Geschäft war â¦
damals haben alle gedacht, dass Wilko genau der Richtige für sie ist. Selbst
hatte er zwar nichts an den FüÃen, aber er verstand was vom Geschäft. Darauf
kam es an!«
»Und dann dieser Unfall!« Mamma Carlotta, die die Geschichte zwar
schon kannte, aber immer wieder gern hörte, sorgte dafür, dass Frau Kemmertönsâ
Redefluss nicht ins Stocken geriet.
Die Nachbarin nickte deprimiert. »Wilko war schuld, und Marikke
sitzt seitdem im Rollstuhl. Beide können sie einem leidtun. Marikke sowieso,
aber Wilko auch! Mit einer solchen Schuld leben! Das ist nicht leicht.«
An diesem Punkt der Erzählung wurden Frau Kemmertöns und Mamma
Carlotta stets uneins. »Schlimm genug, dass das passiert ist«, sagte Mamma
Carlotta. »Aber dass er seine arme Frau dann noch betrügt! Imperdonabile!
Unverzeihlich!«
Doch Frau Kemmertöns deutete auch diesmal Verständnis für Wilko
Tadsen an. »Sie wissen doch, wie Männer sind. Und was die so brauchen! Aber mit
Marikke klappt das wohl nicht mehr.«
Sie sah Mamma Carlotta fragend an, doch die verstand gottlob sofort,
ohne dass Frau Kemmertöns sich genötigt sah, deutlicher zu werden. Aber gelten
lassen wollte sie diese Erklärung nicht. »Der Schuster in unserem Dorf hat
seine Frau nur ein einziges Mal betrogen, und schon hat sie ihn zum Teufel gejagt.«
»Marikke kann das nicht«, sagte Frau Kemmertöns. »Sie ist auf ihren
Mann angewiesen. Ohne ihn müsste sie ins Pflegeheim.«
Mamma Carlotta schwieg betroffen. Madonna! Was gab es doch für
schreckliche Schicksale!
»Und Wilko kann sich ebenfalls nicht scheiden lassen«, fuhr Frau
Kemmertöns fort, »wegen seiner Schuld. Und auch, weil das Geschäft Marikke
gehört und er dann vor dem Nichts stünde. Sie wird froh sein, dass ihr Mann wenigstens
nicht mehr ins Spielkasino geht. Eine Zeit lang hat er sich dort öfter
aufgehalten als zu Hause.« Frau Kemmertöns seufzte. »Aber gottlob ist das
vorbei. Irgendwann hat er wohl selber eingesehen, dass man sich mit Geld sein
Glück nicht zurückholen kann. Jedenfalls ist er schon seit Jahren nicht mehr im
Kasino gesehen worden.«
Sie starrte so lange in die Schüssel mit den übrig gebliebenen
Tortelloni, bis Mamma Carlotta ihr anbot, eine Portion für sie aufzuwärmen.
»Ich glaube«, fügte Frau Kemmertöns mit Grabesstimme an, »Marikke
lässt ihren Wilko einfach gewähren. So hat sie ihre Ruhe, er hat das, was er
braucht, und beide sind zufrieden.«
Mamma Carlotta dachte kurz darüber nach, ob sie diese Lösung jemals
ins Auge
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