Flammen über Arcadion
zahlreichen Kinder und Jugendlichen von den Straßen Arcadions zu holen und ihnen eine Beschäftigung und ein Ziel zu geben. Gemäß dem Wahlspruch der Templerjugend »Treu im Glauben, stark im Herzen, unerschütterlich im Geiste« sollten sie sich zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft und der zukünftigen Elite des Lux Dei entwickeln. Religiöse und politische Unterweisungen standen daher ebenso auf dem Programm wie körperliche Ertüchtigung, Handarbeit und Werken. Darüber hinaus bot die Templerjugend begleitete Ausflüge an, die es den Kindern Arcadions erlaubten, einen Blick auf die Welt jenseits der Stadtmauern zu werfen.
Heute fand sich in der Stadt kaum jemand zwischen zehn und achtzehn, der nicht Mitglied in einer der zahlreichen Gruppen der Templerjugend war. Natürlich gab es Außenseiter wie Rajael, die sich in keine Gemeinschaft einfügen wollten. Eine Mitgliedspflicht existierte nicht. Die zahlreichen Vorteile, die eine Mitgliedschaft in der Templerjugend mit sich brachte – ganz zu schweigen von den Verbindungen, die sich für später knüpfen ließen – , waren allerdings sehr überzeugende Argumente dafür, sich der Organisation anzuschließen.
Carya jedenfalls bereute es nicht. Die Templerjugend hatte ihr ihren ersten und bislang einzigen Ausflug ans Meer ermöglicht. In der Gruppe hatte sie viel über die Geschichte und die Sehenswürdigkeiten von Arcadion gelernt. Und der regelmäßige Sport verlieh ihrem sich entwickelnden Körper eine Form, mit der sie durchaus zufrieden war, wenn sie sich abends im Spiegel betrachtete. Dass ihnen mit Ramin nun ein ausgesprochen fesch aussehender Gruppenführer vorstand, schien da nur noch ein kleiner Zusatzanreiz zu sein, wenn auch einer, der für Carya immer mehr an Bedeutung gewann.
Eine nahe Kirchenglocke schlug gerade zur dritten Nachmittagsstunde, als Carya die Stufen zum Eingang des Jugendhauses hinauflief.Vor dem silbernen Templeremblem neben der Tür, das die dreistrahlige Halbsonne mit dem Templerkreuz kombinierte, hielt sie kurz inne und strich sich mit dem Daumen der rechten Hand dreimal über die linke Brust. Anschließend trat sie ins Innere und eilte die knarrende, hölzerne Treppe hinauf zu dem Versammlungsraum im ersten Stock, aus dem bereits der Lärm zahlreicher Stimmen drang.
»Ah, Carya, endlich kommst du auch«, begrüßte Ramin sie, als er sie sah. Er stand in einer Gruppe aus zwanzig Kindern und Jugendlichen, die sich schwatzend im Raum drängten. Genau wie Carya trugen alle ihre Templerjugenduniform, bestehend aus einem dunkelblauen Unterteil, einem grauen Oberteil und einer Schärpe, in welche die Insignien des Lux Dei eingestickt waren. Ramins Schärpe wurde darüber hinaus von seinen Abzeichen als Gruppenführer und Schüler der Templerakademie geziert.
Beim Anblick seines markanten Kinns und der strahlend blauen Augen – ein eher ungewöhnliches Merkmal in Arcadion – beschleunigte sich Caryas Herzschlag unwillkürlich. Lächelnd und ohne ein Wort herauszubringen blieb sie vor ihm stehen.
Ramin runzelte die Stirn. »Geht es dir gut?«, fragte er.
Sag irgendwas, du blöde Kuh, schalt sich Carya innerlich, während sie gleichzeitig versuchte, das Grinsen, das zweifellos mit jeder Sekunde dämlicher wirkte, aus dem Gesicht zu scheuchen. »Ja, danke. Ich … ich freue mich auf den Ausflug.«
Ramin nickte zufrieden und schenkte ihr sogar ein kleines Lächeln. »Sehr gut. Ich bin mir sicher, er wird ausgesprochen interessant werden.« Er wandte sich von Carya ab und hob die Stimme. »In Ordnung, Gruppe! In Zweierreihe antreten und den Mund halten.«
Ramin musste seinen Befehl nicht wiederholen. Gehorsam verstummten alle und sammelten sich vor ihm.
Er straffte sich und blickte sie mit ernsten Augen an. »Wir werden heute den Dom des Lichts besuchen. Ich weiß, dass einige Jüngere von euch ihn das erste Mal von innen sehen. Da ich aus eigener Erfahrung sagen kann, was für einen überwältigenden Anblick dieses Bauwerk bietet, möchte ich euch hiermit vorwarnen. Ihr dürft schauen und staunen. Aber ich möchte kein Glotzen sehen, kein Zeigen mit den Fingern, kein hektisches Tuscheln. Wir werden von einem Templer begleitet, der uns durch den Dom führt. Zeigt ihm, was ihr taugt! Zeigt ihm, dass wir uns durch nichts aus der Fassung bringen lassen. Wir erweisen dem Mann den ihm gebotenen Respekt und geben uns dem Bauwerk angemessen ehrfürchtig. Denkt daran!«
»Jawohl, Capo!«, antworteten die Kinder und Jugendlichen wie
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