Flammenbucht
auf die Fischer aus Rhagis, die sich um die silberne Schale versammelt hatten. Stolling hatte den goldenen Turmbinder abgestreift und an Parzer weitergereicht; dieser hielt das Armband ehrfurchtsvoll über das Leuchtfeuer. Sogleich änderte es seine Farbe; es schimmerte veilchenblau wie die Zunge des alten Schnappes, wenn er eine abwegige Geschichte erzählte, leuchtete goldgelb wie das lauwarme Bier in Stollings Krügen, glänzte meerblau und glasig wie Mäulchens Augen nach dem Genuß mehrerer Rascher; ein Farbenspiel, das in den Städten Morthyls und vor allem in Rhagis für zahlreiche Jubelschreie sorgen würde.
»Varyns Erben sind nach Fareghi zurückgekehrt«, stellte Aelarian fest und strich sich zufrieden über den roten Bart. Ohne sich um Rumos' Blicke zu kümmern, schlenderte er zu seinem Leibdiener hinüber, der noch immer am Treppenaufgang stand. Cornbrunn hatte sich den Kieselfresser auf die Handfläche gesetzt und liebkoste Knauf, während er die Bilder betrachtete, die nun wieder über das Meer und den Himmel huschten; sie zeigten die fremdartigen Schiffe mit ihren goldenen Segeln. Sie hatten vor den Küsten kehrtgemacht, denen sie sich zuvor genähert hatten, wichen vor dem vielfarbigen Leuchtfeuer zurück.
»Die Echsen haben bemerkt, daß sich Fareghi nicht mehr in der Hand ihres Handlangers befindet«, stellte Cornbrunn fest, während er sich dem Großmerkanten zuwandte. »Werden sie ihre Pläne nun ändern?» »Das kann ich mir nicht vorstellen. Eidrom hat die Goldei in das Silbermeer gelockt, und daran kann unser Sieg nichts ändern. Doch der Turm wird ihre Schiffe nicht mehr beschützen; und die kaiserliche Flotte bei Swaaing kann nun zu einem Gegenschlag ausholen.« Aelarian legte die Hand um Cornbrunns Hüfte, zog ihn sanft zu sich heran. »Die Zukunft dieser Welt entscheidet sich fern von hier, auf der Insel Tyran; sie ist das eigentliche Ziel von Rumos Rokariacs Reise. Wie es aussieht, werden wir unser graubärtiges Großväterchen auch dorthin begleiten müssen.«
»Wir?« Cornbrunn grinste, »Glaubt Ihr allen Ernstes, ich werde weiterhin einem wahnsinnigen Priester und einem verrückten Mondjünger folgen?« Frech blitzten seine Augen auf. »Natürlich werde ich das! Ob Ihr nun ein Anhänger des Blenders seid oder nicht - ich werde Euch nach Tyran begleiten, Aelarian, und sei es auch nur, um nach unserer Rückkehr in Taruba von Euren Possen berichten zu können.«
KAPITEL 16 -
Ahnen
Baniter lag allein auf dem Bett seines Gemachs, den Blick auf die weiß getünchte Wand gerichtet. Sie erschien ihm wie ein unbeschriebener Pergamentbogen, und je länger er auf sie starrte, desto deutlicher sah er vor seinem inneren Auge Federstriche über die Unebenheiten des Mauerwerks hinweghuschen, sah geschwungene Buchstaben in schwarzer Tinte, die sich über die weiße Fläche zogen und seine Aufmerksamkeit fesselten. Wieder hatte er die ganze Nacht im Archiv der Stadt zugebracht, hatte in fieberhafter Suche Schriftrollen und Folianten gesichtet, um neue Erkenntnisse über den Umsturzversuch seines Großvaters zu gewinnen. Längst schon war die Aufdeckung der Vorgänge um die ›Feier von Vara‹ für ihn zu einer fixen Idee geworden, die alle anderen Gedanken in den Hintergrund treten ließ. Und tatsächlich hatte Baniter im Archiv einen aufsehenerregenden Fund gemacht: ein Protokoll der Hinrichtung seines Großvaters. Fünf Tage nach der ›Feier von Vara‹ war Norgon Geneder in einen unscheinbaren Innenhof des Kaiserpalastes gezerrt und dort jenem Mann vorgeführt worden, den er vom Thron hatte stoßen wollen. Es waren nur wenige Worte gefallen; Kaiser Torsunt hatte dem Verräter das Urteil verkündet, und Norgon hatte es angenommen, hatte es sogar selbst auf der Schriftrolle unterzeichnet mit einem kühn geschwungenen, von Schnörkeln umgebenen Namenszug. Dann hatte der Kaiser ihn eigenhändig geköpft.
Lange hatte Baniter auf die Stelle des Schriftstücks gestarrt, an der Norgon Geneder sein eigenes Todesurteil unterzeichnet hatte. Die Buchstaben waren mit großer Sorgfalt geschrieben, waren mit feinen Verzierungen versehen; sehr ungewöhnlich, wenn man bedachte, daß ihr Schreiber auf das Richtschwert wartete. Doch Baniter kannte den Grund: Norgon hatte seinen Namenszug mit der Luchsschrift umwoben, jenen geheimen Zeichen aus Schnörkeln und Ornamenten, die sich um einen gewöhnlichen Text rankten. Allein die Angehörigen der Familie Geneder vermochten diese Schrift zu lesen; und so hatte
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