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Flammenbucht

Flammenbucht

Titel: Flammenbucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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abgewandt. Ihre Augen leer, tot. Kein Schmerz. Keine Trauer. Um sie der Wind, der stärker als zuvor über ihre kurzen Haare strich; und der Himmel, der sich rasch verdüsterte, einen neuen Sturm ankündigte. Als sie die Luft einsog, füllte ein kräftiger Atem ihre Lungen. Der Hauch der ›Gnadenlosen‹. Lange hatte er in ihr geschlummert. Nun war er wiedererwacht.
    Eidrom von Crusco hielt sich mit starren Fingern am Rand der Schale fest. In ihr loderte das Leuchtfeuer von Fareghi; es brannte, ohne sich zu verzehren, schuf weder Hitze noch Rauch. Das weiße Licht, das es aussandte, war im gesamten Silbermeer zu erkennen, und seit es die goldenen Schiffe aus der Sphäre herbeigelockt hatte, fürchteten die Bewohner der Inseln und Küsten den Leuchtturm mehr denn je. Eine Fläche aus rotem Gestein bildete das Turmdach. In der Mitte ruhte auf einem Steinsockel die silberne Schale; über ihr nichts als der graue Himmel, ringsum das Silbermeer, die endlosen Wellenlandschaften. Vom Turm aus gesehen wirkten die Wogen belebt, folgten in ihrem Tanz dem Schein des Leuchtfeuers. Der Turm beherrschte das Wasser; er war der Mittelpunkt des riesigen Meeres. Und so ließ sich vom Turmdach aus die ganze See überblicken, all die fernen Gestade und Buchten; wer hier oben stand und auf das Wasser sah, dessen Wahrnehmung reichte weiter, als sein Auge es vermochte. Der wolkenverhangene Himmel, das aufgeworfene Meer waren Leinwände eines Schattentheaters, auf die der Turm seine Bilder fluten zauberte; rauschhafte Illusionen, rasch wechselnde Bilderfolgen, Licht und Schatten in rasender Bewegung. In den Fluten waren die Umrisse von Schiffen zu erkennen, die sich am anderen Ende des Ozeans ihren Weg durch die Wellen bahnten. Fischerboote zerschellten in weiter Ferne an messerscharfen Klippen; die verzweifelten Gesichter der Ertrinkenden huschten in starker Vergrößerung über den Himmel, so daß man das Weiß ihrer Augen erkennen konnte. Und überall auf den Wellen und Wolken glommen goldene Segel auf; die Schiffe der Goldei, eine nicht zu überblickende Flotte, die sich den sitharischen Küsten näherte.
    Eidrom von Crusco atmete schwer, während er die Erscheinungen betrachtete. Sein Lockenhaar war zerzaust, stand ab wie verfilzte Wolle. Seine Augen versuchten, den Bildern zu folgen, doch immer wieder lenkte eine neue Bewegung, ein neuer Lichtstrahl sie ab. Stöhnend faßte er sich an den Kopf; seine Hände, entstellt durch den weißlichen Ausschlag, umschlossen die pochende Stirn.
    »Die Flammen… wie konnte dies geschehen? Wie konnten sie aus der Sphäre in die Bucht dringen und die Schiffe vernichten?« Seine Stimme klang gequält. »Die vier goldenen Schiffe, die ich rief… verbrannt in der Flammenbucht!
    Und nun legt kein Schiff mehr in Varynna an! Ist dies der Dank dafür, daß ich den Goldei das Silbermeer schenkte?« Er brüllte auf, riß die Hände herunter, hielt sie in das weiße Leuchtfeuer. Hell glomm das Licht auf. »Hilf mir! Hilf mir ein letztes Mal! Sage mir, wer jene silberne Gestalt war, die mit den Schiffen in der Bucht erschien! Sage mir, warum sie verschwand, als die Wellen zu Feuer wurden und die Schiffe der Goldei verbrannten! Sprich zu mir, Leuchtturm!«
    Die Bilder um ihn wandelten sich; nun zeigten die Wolken und Wellen Eidroms zerrissenes Gesicht; seine flackernden Augen, den schmerzverzerrten Mund, die wirren Locken. Wollte der Turm ihn verhöhnen? Ein Stöhnen entwich Eidroms Lippen; er riß die Hände aus dem Feuer. Weiße Glut hatte seine Finger erfaßt; unter der Haut leuchteten die Knöchel wie glühende Eisenstäbe.
    Ein helles Fiepsen schreckte ihn auf. Sein Blick fiel zum Treppenaufgang, eine Öffnung im Boden der Turmebene. Auf der obersten Stufe saßen zwei Tiere, wieselartige Wesen mit seidigem Fell und spitzen Schnauzen. Ihre Knopfaugen schillerten.
    »Wer hat euch Ratten in meinem Turm ausgesetzt?« fluchte Eidrom. »Bleibt mir vom Leib, bevor ich euch unter meinen Stiefeln zertrete!«
    Als hätten sie seine Drohung verstanden, machten die Tierchen kehrt, sprangen die Stufen wieder abwärts. Mißtrauisch blickte Eidrom ihnen nach. Dann fuhr er wieder zum Leuchtfeuer herum.
    »Du willst mir also keine Antwort geben? Und dies, obwohl ich dir alles opferte; meine Kraft, meinen inneren Frieden!« Er ballte die glimmenden Hände. »Nachts, wenn ich träume, sehe ich deine gräßlichen Bilder, und manchmal auch dann, wenn ich wache!« Er starrte zum Himmel hinauf, über den gespenstische Schatten

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