Flammendes Eis
Schiff.«
»Was ist geschehen? Was hat dieser Lärm zu bedeuten?«
»Alle Ihre Wachen sind tot. Das Schiff wird angegriffen. Wir müssen von Bord gehen.«
Sie warf einen Blick auf die Mädchen und schien neuen Mut zu fassen. »Kapitän Towrow, falls Sie mich und meine Familie in Sicherheit bringen, erwartet Sie eine große Belohnung.«
»Ich werde mein Bestes tun, Madame.«
Sie nickte. »Gehen Sie voraus. Wir folgen Ihnen.«
Towrow vergewisserte sich, dass der Weg frei war. Dann hielt er der Familie die Tür auf und führte sie vom Feuer weg über das Deck. Die
Star
hatte bereits ausgesprochene Schlagseite, und sie mussten sich über eine schräge und schlüpfrige Metalloberfläche voranarbeiten. Sie rutschten aus, halfen einander wieder auf die Beine und eilten weiter.
Die Besatzung drängte sich derweil in das Rettungsboot und versuchte, die Davits in Gang zu setzen. Der Kapitän übernahm das Kommando und befahl seinen Männern, der Familie zu helfen. Als alle auf ihren Plätzen saßen, wies er die Mannschaftsmitglieder an, sich möglichst geschickt anzustellen und sie zu Wasser zu lassen. Er befürchtete, die Davits könnten aufgrund der beträchtlichen Schieflage des Schiffs nicht funktionieren, aber das Boot senkte sich hinab, wenngleich es mehrmals gegen den schrägen Rumpf schlug.
Sie befanden sich dicht über dem Wasser, als einer der Männer aufschrie. Der Fischkutter hatte die
Star
umrundet, und das Deckgeschütz zielte genau auf das Rettungsboot. Die Kanone feuerte, die Granate durchschlug den hinteren Teil des Boots, und dann wurden Holzsplitter, glühendes Metall und Körperteile durch die Luft geschleudert.
Towrow hatte den Arm um das Mädchen neben sich gelegt.
Als er sich im eiskalten Wasser wiederfand und den Namen seiner verstorbenen Tochter rief, hielt er sie immer noch fest. Er erblickte einen in der Nähe treibenden hölzernen Lukendeckel und schwamm mit dem halb bewusstlosen Mädchen im Schlepptau langsam darauf zu, um nicht die Aufmerksamkeit der Angreifer zu erregen. Dann half er dem Kind an Bord dieses unsicheren Floßes, verpasste dem Gefährt einen Stoß und sah den Deckel samt seiner Fracht aus dem Feuerschein des sterbenden Schiffs gleiten und mit der Dunkelheit verschmelzen.
Danach hatte der unterkühlte und erschöpfte Towrow nichts mehr, woran er sich festhalten konnte. Er glitt unter die Oberfläche, das Wasser schlug über ihm zusammen, und sein Traum von einem Häuschen am Meer versank mit ihm in der Tiefe.
1
Vor der Küste von Maine, Gegenwart
Leroy Jenkins zog soeben eine muschelverkrustete Hummerfalle an Bord seines Boots, der
Kestrel
, als er kurz den Kopf hob und am Horizont ein gewaltiges Schiff bemerkte.
Behutsam entnahm er dem Käfig zwei dicke, verärgerte Schalentiere, sicherte die Scheren mit Gummiringen und warf die Hummer in einen großen Wassertank. Dann versah er die Falle mit einem Fischkopf als neuem Köder, warf den Drahtkorb zurück ins Meer und ging ins Ruderhaus, um sein Fernglas zu holen. Er spähte durch die Linsen und formte mit den Lippen ein stummes Wort. »Wow!«
Das Schiff war riesig. Jenkins betrachtete es mit fachmännischem Blick. Vor seinem Ruhestand und seiner Freizeitbeschäftigung als Hummerfischer hatte er an der Universität von Maine Ozeanographie gelehrt und viele Sommersemesterferien an Bord von Forschungsschiffen verbracht – aber so etwas wie dieses Ungetüm hatte er noch nie gesehen. Er schätzte die Länge auf ungefähr hundertachtzig Meter. An Deck ragten Ausleger und Kräne empor. Jenkins vermutete, dass es sich um ein Schiff zur Exploration und Gewinnung von unterseeischen Bodenschätzen handelte. Er schaute ihm hinterher, bis es wieder außer Sicht verschwand, und widmete sich dann den restlichen Fallen an diesem Strang.
Jenkins war ein hoch gewachsener, schlanker Mann Ende sechzig, in dessen knorrigen Zügen sich die felsige Küste seines Heimatstaats Maine widerzuspiegeln schien. Als er die letzte Falle einholte, zog sich ein Lächeln über sein sonnenverbranntes Gesicht. Der heutige Morgen war außerordentlich ertragreich gewesen. Jenkins hatte dieses Fanggebiet vor einigen Monaten ganz zufällig entdeckt und hier seitdem jede Menge Hummer aus dem Wasser gezogen, obwohl er sich dafür relativ weit von der Küste entfernen musste. Zum Glück war sein elf Meter langes Holzboot auch mit voller Ladung noch seetüchtig. Er setzte den Kurs für die Rückfahrt, schaltete den Autopiloten ein und ging unter Deck, um sich
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