Flammendes Eis
Der FTR glitt an der Brücke vorbei und hielt vor einer dunklen quadratischen Öffnung. Im Gegensatz zu dem gezackten Loch im Rumpf hatte der Schneidbrenner relativ glatte Kanten hinterlassen. Gunn fuhr bis auf wenige Zentimeter heran. Im Licht konnte man das Gestell einer Koje, die Überreste eines Metallstuhls und einen Tisch erkennen. Alles lag wild durcheinander.
»Können wir rein?«, fragte Austin.
»Es herrscht eine schwache seitliche Strömung, also könnte es etwas knifflig werden, aber ich werde mich bemühen.« Gunn fuhr ein Stück nach links und wieder nach rechts, bis er sich genau in der Mitte des Lochs befand. Dann glitt er so mühelos hinein, als würde eine Näherin einen Faden durch ein Nadelöhr schieben. Der FTR war in der Lage, sich um die eigene Achse zu drehen, und Gunn ließ ihn einmal im Kreis herumschwenken.
Die Kamera erfasste schmierige graue Trümmerhaufen. Gunn suchte eine der Ecken mit dem Greifarm ab, wirbelte dabei aber lediglich eine pulverige Rostwolke auf. Dann blieb der Roboter hängen und ließ sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Gunn wartete, dass die Wolke sich legen würde, und wackelte mehrmals mit dem Joystick hin und her, bis der FTR von dem Draht freikam, der sich um einen vorspringenden Teil der Außenhaut gelegt hatte.
»Was meinst du?«, wandte Gamay sich an Austin.
»Alles, das von Wert sein könnte, ist fortgeschafft worden.
Wir müssen uns wohl an das eigentliche Schiff halten, nicht an seine Fracht.« Er deutete auf ein Wandregal. »Was ist das denn?«
Austins geschulter Blick hatte einen dunklen rechteckigen Gegenstand erspäht. Mit dem Greifarm räumte Gunn einen undefinierbaren graubraunen Schutthaufen beiseite und unternahm mehrere vergebliche Versuche, das Objekt zu fassen zu bekommen. Es rutschte immer wieder weg, so wie der Preis bei einem dieser Jahrmarktspiele. Gunn biss entschlossen die Zähne zusammen und schob den Gegenstand in eine Ecke, wo er ihn schließlich fest zwischen die Greifhaken nahm. Dann fuhr er mit dem FTR rückwärts aus der Kabine und hob die Beute direkt vor die Scheinwerfer. Die Klaue hielt einen kleinen flachen Kasten umklammert.
»Wir tauchen auf«, sagte Gunn. Er richtete die Nase des FTR nach oben und schickte ihn mit Höchstgeschwindigkeit zur
Argo
zurück. Wenige Minuten später erschien die hell beleuchtete Lukenöffnung auf dem Bildschirm. Der Kapitän befahl seinen Leuten, den geborgenen Gegenstand in einem Salzwasserbad zu belassen und ihn nach oben in den Kontrollraum zu bringen.
Kurz darauf kam ein Techniker und brachte ihnen einen weißen Plastikeimer. Gamay, die hier an Bord aufgrund ihrer archäologischen Vorkenntnisse die größte Erfahrung im Umgang mit derartigen Artefakten hatte, bat um einen weichen Pinsel. Dann bürstete sie vorsichtig an einer daumenna gelgroßen Stelle die schwarze Patina des Kastens ab. Darunter schimmerte Metall auf.
»Das ist Silber«, sagte Gamay und fuhr mit ihrer Arbeit fort, bis sie die Hälfte des Deckels freigelegt hatte. Das Metall war mit dem Relief eines zweiköpfigen Adlers versehen. Gamay untersuchte die Schließe. »Ich kann das Ding vermutlich öffnen, aber ich traue mich nicht. Der Inhalt könnte durch den Luftkontakt zerstört werden. Man sollte geeignete Vorkehrungen zur Konservierung treffen.« Sie sah den Kapitän an.
»Die
Argo
wurde in erster Linie für biologische und geologische Forschungsaufgaben ausgestattet«, sagte Atwood.
»Ein anderes NUMA-Schiff namens
Sea Hunter
ist nicht weit von hier mit einem archäologischen Projekt beschäftigt.
Vielleicht kann man uns dort weiterhelfen.«
»Bestimmt sogar. Ich kenne die
Sea Hunter
und war vor ein paar Jahren selbst mal an Bord«, sagte Austin. »Sie ist das Schwesterschiff der
Argo
, nicht wahr?«
»Richtig. Die beiden Schiffe sind nahezu identisch.«
»Wir sollten diesen Kasten so schnell wie möglich dorthin schaffen«, sagte Gamay. »Ich werde ihn so gut wie möglich in Salzwasser stabilisieren.« Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Fundstück. »Verdammt! Jetzt bin ich aber
wirklich
neugierig auf den Inhalt.«
»Geh doch auf unsere Krankenstation, und mach ein Röntgenbild davon«, schlug Austin vor. »Eventuell lässt sich dadurch schon ein Teil des Geheimnisses lüften.«
Gamay legte den Kasten behutsam zurück in den Eimer, und der Techniker brachte ihn weg. »Du bist ein Genie«, sagte sie.
»Wenn du meine nächste Idee gehört hast, wirst du diese Meinung bestimmt überdenken«, sagte
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