Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
eine Wahl hätte, dann …«
»Hör auf damit«, unterbrach sie ihn. »Die Drohung ist nicht ernst gemeint. Das stimmt einfach nicht, du siehst da einen Zusammenhang, den es gar nicht gibt. Samuel Mendels Familie hat mit uns nicht das Geringste zu tun, hörst du? Wir sind nicht bedroht.«
»Ich habe versucht, dir zu erklären, wie ernst es ist, aber du hörst mir nicht zu.«
»Ich will dir nicht zuhören. Warum sollte ich?«
»Summa, ich muss einfach … Ich habe alles vorbereitet, es gibt da eine Frau, sie heißt Rosa Bergman. Sie erwartet euch in Malmberget, sie gibt euch die neuen Identitäten. Ihr werdet es gut haben.«
Seine Hände zittern jetzt. Die Finger auf dem Lenkrad sind schweißglatt.
»Du meinst es wirklich ernst«, flüsterte Summa.
»Mehr als je zuvor«, erwiderte er schleppend. »Wir sind auf dem Weg nach Mora, dort nehmt ihr den Zug nach Gällivare.«
Er hörte, dass Summa sich anstrengt, gefasst zu klingen.
»Wenn du uns am Bahnhof absetzt, hast du uns verloren. Verstehst du das? Dann führt kein Weg mehr zurück.«
Sie sah ihn mit leuchtenden, trotzigen Augen an.
»Du wirst Lumi sagen, dass ich im Ausland arbeiten muss«, fuhr er gedämpft fort und hörte Summa schluchzen.
»Joona«, wisperte sie. »Nein, nein …«
Er starrte auf die nasse Fahrbahn vor sich und schluckte hart.
»Und in ein paar Jahren«, sprach er weiter. »Wenn sie ein bisschen größer ist, wirst du ihr erklären, dass ich tot bin. Du darfst niemals, unter gar keinen Umständen Kontakt zu mir aufnehmen. Mich niemals aufsuchen. Hörst du?«
Summa konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
»Ich will nicht, ich will nicht …«
»Ich auch nicht.«
»Das darfst du uns nicht antun«, sagte sie unter Tränen.
»Mama?«
Lumi war aufgewacht, und ihre Stimme klang ängstlich. Summa wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Joona zu seiner Tochter. »Mama ist nur traurig, weil wir nicht zu dem Hotel am Fluss fahren.«
»Erzähl es ihr«, sagte Summa mit erhobener Stimme.
»Was erzählen?«, fragte Lumi.
»Du und Mama, ihr fahrt Zug«, sagte Joona.
»Und was machst du?«
»Ich muss arbeiten«, antwortete er.
»Du hast gesagt, wir würden Tierarzt und Affe spielen.«
»Er will nicht«, sagte Summa hart.
Sie näherten sich dem Stadtrand von Mora, kamen an Eigenheimsiedlungen und Industriegebieten vorbei. Einem Einkaufszentrum und KFZ-Werkstätten mit einzelnen Autos auf den Parkplätzen. Der dichte Zauberwald wurde immer geordneter, der Wildschutzzaun endete.
187
JOONA BREMSTE VOR DEM GELBEN BAHNHOFSGEBÄUDE . Er parkte, öffnete den Kofferraum und hob den großen Rollkoffer heraus.
»Hast du diese Nacht deine Sachen herausgeholt?«, fragte Summa gedämpft.
»Ja.«
»Und andere hineingelegt?«
Er nickte und blickte zu der Gleisanlage mit vier verschiedenen Gleisen, Bahndämmen aus rostfarbenem Kies, Unkraut und dunklen Schwellen hinüber.
Summa stellte sich vor ihn.
»Deine Tochter braucht dich.«
»Ich habe keine andere Wahl«, entgegnete er und schaute durch die Heckscheibe des Wagens.
Lumi drückte eine große, weiche Puppe in ihren rosa Rucksack.
»Du hast die Wahl«, fuhr Summa fort. »Aber statt zu kämpfen, gibst du einfach auf, du weißt doch gar nicht, wie ernst diese Drohung gemeint ist. Ich verstehe das nicht.«
»Ich finde Lollo nicht«, beklagte Lumi sich leise.
»Der Zug geht in zwanzig Minuten«, sagte Joona verbissen.
»Ich will nicht ohne dich leben«, sagte Summa gedämpft und versuchte, seine Hand zu nehmen. »Ich will, dass alles so ist wie immer …«
»Ja.«
»Wenn du uns das antust, bist du allein.«
Er blieb stumm. Lumi stieg aus dem Wagen und schleifte ihre Tasche über den Boden. In ihrem Haar saß lose eine rosa Spange.
»Wirst du ein Leben in Einsamkeit führen?«
»Ja«, antwortete er.
Zwischen den Bäumen jenseits der Gleise glitzerte die nördlichste Bucht des Siljan-Sees.
»Sag dem Papa tschüss«, meinte Summa tonlos und stupste ihre Tochter einen Schritt nach vorne.
Lumi stand mit finsterem Gesicht da und starrte zu Boden.
»Beeil dich«, sagte Summa.
Lumi blickte einige Sekunden auf und murmelte:
»Tschüss, Affe.«
»Mach es ordentlich«, zischte Summa gereizt. »Verabschiede dich richtig.«
»Ich will nicht«, entgegnete Lumi und klammerte sich an das Bein ihrer Mutter.
»Tu es trotzdem«, sagte Summa.
Joona ging vor seiner kleinen Tochter in die Hocke. Seine Stirn war schweißnass.
»Umarmst du mich
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