Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
wahr, als seine Trommelfelle platzten. Traumverloren spürte er Blut aus Nase und Ohren strömen, fiel nach hinten, fiel mit leeren Händen und spürte den Aufprall des Hinterkopfs als fernen Druck. Es heulte und glühte in seinem Gehirn. Ehe ihm schwarz vor Augen wurde, sah er sachte die verbrannten Rußpartikel von Blättern herabschweben.
Joona starrt aus dem Fenster und hört die Durchsage nicht, dass sie mit dem Landeanflug auf den Flughafen von Helsinki begonnen haben.
Zwölf Jahre zuvor schnitt er dem Teufel persönlich einen Finger ab und zur Strafe wurde er zu Einsamkeit verurteilt. Er hat einen hohen Preis gezahlt, aber seinem Empfinden nach ist er die ganze Zeit nicht hoch genug gewesen, diese Strafe ist zu milde gewesen, der Teufel hat nur darauf gewartet, ihm noch jemanden wegnehmen zu können, nur darauf gelauert, dass er sich einbilden würde, die Sache sei endlich vergeben und vergessen.
Joona kauert sich auf dem Flugzeugsitz zusammen, wartet und versucht zu atmen. Der Mann neben ihm mustert ihn besorgt.
Schweiß läuft über Joonas Stirn.
Es ist nicht die Migräne, es ist das andere, die große Dunkelheit hinter allem.
Er stoppte den Serienmörder Jurek Walter. Das wird nie vergessen, niemals zu den Akten gelegt werden.
Er hatte keine Wahl, aber der Preis war zu hoch, viel zu hoch.
Es war die Sache nicht wert gewesen.
Seine Arme bekommen eine Gänsehaut, er rauft sich mit einer Hand die Haare, presst die Füße auf den Boden der Maschine.
Er ist unterwegs, um Summa und Lumi aufzusuchen. Er ist unterwegs, um das Unverzeihliche zu tun. Solange Jurek Walter vom Tod der beiden überzeugt ist, sind sie sicher. Möglicherweise ist er in diesem Moment dabei, einen Serienmörder zu seiner Familie zu führen.
Joona hat sein Handy in Stockholm gelassen. Er benutzt falsche Papiere und bezahlt alles bar. Als er aus dem Taxi gestiegen ist, geht er zwei Häuserblocks, dann bleibt er in einem Türeingangstehen und versucht, etwas durch die dunklen Fenster ihrer Wohnung zu sehen.
Er wartet einen Moment, geht dann zu einem Café die Straße hinunter, bezahlt zehn Euro, um sich ein Telefon leihen zu dürfen und ruft Saga Bauer an.
»Ich brauche Hilfe«, sagt er mit einer Stimme, die kaum trägt.
»Weißt du eigentlich, dass alle nach dir suchen? Hier herrscht völliges Chaos …«
»Ich brauche deine Hilfe bei einer Sache.«
»Okay«, sagt sie, und ihre Stimme ist auf einmal aufmerksam und ruhig.
»Nachdem du mir die Information gegeben hast, musst du ganz sichergehen, dass du den Verlauf der Suche löschst.«
»In Ordnung«, sagt sie leise und ohne Zögern.
Joona schluckt hart, schaut auf den kleinen Zettel, den ihm Rosa Bergman gegeben hat, und bittet Saga zu kontrollieren, ob eine Frau namens Laura Sandin, wohnhaft Elisabetsgatan 16 in Helsinki, lebt.
»Kann ich dich zurückrufen?«, fragt sie.
»Lieber nicht, am besten suchst du, während ich am Telefon warte«, antwortet er.
Die folgenden Minuten sind die längsten seines Lebens. Er betrachtet den glitzernden Staub auf der Theke, die Espressomaschine und die Spuren von Stühlen auf dem Holzfußboden.
»Joona?«, meldet sich Saga schließlich.
»Ich bin hier«, flüstert er.
»Laura Sandin ist vor zwei Jahren an Leberkrebs erkrankt …«
»Sprich weiter«, sagt Joona und spürt, dass ihm der Schweiß den Rücken herabläuft.
»Also, letztes Jahr wurde sie operiert. Und sie … aber …«
Saga Bauer murmelt etwas vor sich hin.
»Was ist?«, fragt Joona.
Saga räuspert sich und sagt mit leicht gestresster Stimme – als verstünde sie erst jetzt, dass es um etwas sehr Wichtiges geht:
»Sie wurde kürzlich ein zweites Mal operiert, letzte Woche …«
»Lebt sie?«
»Sieht ganz so aus … Sie liegt noch im Krankenhaus«, antwortet Saga behutsam.
190
ALS JOONA IN DEN FLUR KOMMT , in dem Summa liegt, kommt es ihm so vor, als würde alles verlangsamt ablaufen. Die fernen Laute von Fernsehapparaten und plaudernden Stimmen werden immer zäher.
Vorsichtig öffnet er die Tür zu ihrem Zimmer und tritt ein.
Eine schlanke Frau liegt abgewandt im Bett.
Das Fenster ist mit einem leichten Baumwollvorhang zugezogen. Ihre dünnen Arme liegen auf der Decke. Die dunklen Haare sind verschwitzt und stumpf.
Er weiß nicht, ob sie schläft, aber er muss ihr Gesicht sehen. Er tritt näher. Es ist vollkommen still im Zimmer.
Die Frau, die in einem anderen Leben Summa Linna hieß, ist sehr müde. Ihre Tochter hat die ganze Nacht bei ihr
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