Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Himmelsjön schimmert wie Perlmutt.
Endlich kann sie den Computer herunterfahren und ihre Tablette nehmen. Sie zieht die Strickjacke enger um sich und denkt, dass ein Glas Wein jetzt nicht zu verachten wäre. Sie sehnt sich danach, mit einem Buch und einem Glas Wein in ihrem Bett zu sitzen, zu lesen und mit Daniel zu plaudern.
Aber heute hat sie Dienst und wird im Übernachtungszimmer schlafen. Als Buster draußen auf dem Hof plötzlich anschlägt, zuckt sie zusammen. Er bellt so aufgeregt, dass sie Gänsehaut auf ihren Armen bekommt.
Es ist spät geworden, sie sollte längst im Bett liegen.
Um diese Uhrzeit schläft sie sonst immer.
Als der Computerbildschirm erlischt, wird es dunkel im Zimmer. Auf einmal ist es unglaublich still. Elisabeth wird sich der Geräusche bewusst, die sie selber macht. Das Zischen der Gasdruckfeder, als sie aufsteht, das Knarren der Bodendielen unter ihren Füßen, als sie zum Fenster geht. Sie versucht hinauszuschauen, aber die Dunkelheit spiegelt nur ihr eigenes Gesicht, das Schwesternzimmer mit Computer und Telefon, die Wände mit ihren nach Schablonen gestrichenen Mustern in Gelb und Grün.
Plötzlich sieht sie, dass die Tür hinter ihrem Rücken ein wenig aufgleitet.
Ihr Herz schlägt schneller. Die Tür war einen Spaltbreit geöffnet, steht nun aber halb offen. Das muss am Luftzug liegen, versucht sie sich einzureden. Der Kachelofen im Esszimmer saugt große Mengen Luft an.
Elisabeth verspürt eine seltsame innere Unruhe, Angst kriecht in ihre Adern. Sie wagt es nicht, sich umzudrehen, starrt stattdessen das Spiegelbild der Tür in der dunklen Fensterscheibe an.
Sie lauscht der Stille und dem Computer, der noch tickt.
In dem Versuch, ihr Unbehagen abzuschütteln, streckt sie die Hand aus, löscht die Lampe im Fenster und dreht sich um.
Jetzt steht die Tür weit offen.
Ihr läuft ein Schauer über den Rücken.
Die Deckenlampe im Flur zum Esszimmer und den Zimmern der Mädchen ist eingeschaltet. Sie verlässt den Raum und nimmt sich vor, zu kontrollieren, ob die Luken des Kachelofens geschlossen sind, als aus den Zimmern der Mädchen auf einmal ein Flüstern dringt.
3
ELISABETH SCHAUT DEN KORRIDOR HINUNTER , rührt sich nicht von der Stelle und lauscht. Anfangs hört sie nichts, dann erahnt sie etwas. Ein leises Wispern, so zart, dass man es kaum versteht.
»Jetzt musst du die Augen zumachen«, flüstert jemand.
Elisabeth steht vollkommen still und schaut in die Dunkelheit hinein, kneift immer wieder die Augen zusammen, kann jedoch niemanden erkennen.
Sie denkt, dass bestimmt eines der Mädchen im Schlaf spricht, als sie ein seltsames Geräusch hört. Als ließe jemand einen überreifen Pfirsich zu Boden fallen. Und dann noch einen. Schwer und feucht. Ein Tischbein scharrt über den Fußboden, und anschließend fallen zwei weitere Pfirsiche.
Elisabeth erahnt aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung. Einen vorüberhuschenden Schatten. Sie dreht sich um und sieht, dass sich langsam die Tür zum Esszimmer schließt.
»Warte«, sagt sie, obwohl sie annimmt, dass es wieder nur die Zugluft ist.
Sie eilt hin, legt die Hand auf die Türklinke und spürt einen seltsamen Widerstand, dann gibt es ein kurzes Tauziehen, bis die Tür schließlich einfach aufgeht.
Elisabeth betritt das Esszimmer. Sie ist wachsam und versucht, den Raum zu überblicken. Der zerkratzte Esstisch glänzt schwach. Vorsichtig bewegt sie sich zum Kachelofen und sieht ihre eigenen Bewegungen in den geschlossenen Messingluken schimmern.
Die aufgeheizten Ofengänge verströmen Wärme.
Plötzlich raschelt und knackt es hinter den Luken. Sie weicht einen Schritt zurück und stößt gegen einen Stuhl.
Es ist nur glühendes Brennholz, das in sich zusammengefallen und gegen die Innenseite der Luken gestoßen ist. Der Raum ist vollkommen leer.
Sie holt tief Luft, verlässt das Esszimmer, schließt die Tür und geht den Gang zu ihrem Übernachtungszimmer zurück, bleibt dann jedoch wieder stehen und lauscht.
Aus der Abteilung der Mädchen dringt kein Laut an ihr Ohr. Säuerliche Düfte treiben, metallisch dampfend, durch die Luft. Ihr Blick sucht nach Bewegungen in dem dunklen Korridor, aber es herrscht vollkommene Stille. Trotzdem zieht es sie dorthin. Zu der Reihe unverschlossener Türen. Manche scheinen einen Spalt offen zu stehen, andere sind geschlossen.
Auf der rechten Seite des Korridors liegen die Toiletten und eine Nische mit der abgeschlossenen Tür zum Isolierzimmer, in dem Miranda
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