Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
tatsächlich eine Antwort geben, die Sie vielleicht …«
Als sein Handy plötzlich surrt, verstummt Joona. Er wirft unwillkürlich einen Blick auf das Display, und seine Augen werden so dunkel wie nasser Granit.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagt er sehr ernst. »Aber ich muss dieses Gespräch unbedingt annehmen.«
Die drei betrachten den Kommissar erstaunt, als er sich meldet und der Stimme am Telefon lauscht.
»Ja, ich weiß«, sagt er leise. »Ja … Ich komme sofort.«
Joona beendet das Gespräch und wirft dem Oberstaatsanwalt einen zögernden Blick zu, so als hätte er völlig vergessen, wo er sich befindet.
»Ich muss gehen«, sagt Joona und verlässt ohne ein weiteres Wort den Raum.
184
EINE STUNDE UND ZWANZIG MINUTEN SPÄTER landet der Linienflug auf dem Airport Härjedalen Sveg, und Joona nimmt ein Taxi zu dem Altersheim, in dem er Rosa Bergman aufgespürt hatte, die Frau, die ihm vor der Adolf-Fredriks-Kirche gefolgt war, die Frau, die ihn fragte, warum er sich so verhalte, als wäre seine Tochter tot.
Rosa Bergman hat als alte Frau ihren zweiten Taufnamen und den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen und nennt sich jetzt Maja Stefanson.
Joona steigt aus dem Taxi, geht schnurstracks zu der gelben Häusergruppe, betritt das Foyer und eilt zu Majas Station.
Die Krankenschwester, mit der er beim letzten Mal gesprochen hat, winkt ihm von der Rezeption aus zu. Das Licht zwischen den Jalousien lässt ihre lockigen Haare leuchten wie Kupfer.
»Das ging aber schnell«, zwitschert sie. »Ich habe an Sie gedacht, und Ihre Visitenkarte hängt ja auch immer noch hinter der Spüle, also habe ich angerufen …«
»Man kann mit ihr sprechen?«, unterbricht Joona sie.
Sein Ton verwirrt die Frau, sie streicht mit den Händen über ihren hellblauen Kittel:
»Unsere neue Ärztin ist vorgestern hier gewesen, ein blutjunges Mädchen, aus Algerien, glaube ich. Sie hat Maja ein neues Medikament verordnet und … Ich hatte schon davon gehört, es aber nie mit eigenen Augen gesehen. Das alte Mädchen ist heuteMorgen aufgewacht und hat vollkommen klar mehrfach wiederholt, dass sie mit Ihnen sprechen muss.«
»Wo ist sie?«
Die Krankenschwester begleitet Joona zu dem engen Zimmer mit den zugezogenen Vorhängen und lässt ihn mit der alten Frau allein. Über einem schmalen Schreibtisch hängt ein gerahmtes Foto von einer jungen Frau, die neben ihrem Sohn sitzt. Die Mutter hat ernst und beschützend einen Arm um die Schultern des Jungen gelegt.
Einige schwere Möbel aus einem gutbürgerlichen Heim stehen entlang der Wände auf dem PVC-Boden. Ein dunkler Sekretär, ein Kosmetiktisch und zwei goldglänzende Piedestale.
Auf einem Diwan mit purpurroten Polstern sitzt Rosa Bergman.
Ihr Äußeres ist gepflegt, und sie trägt Bluse, Rock und Strickjacke. Ihr Gesicht ist aufgedunsen und faltig, aber ihr Blick hat eine völlig neue Festigkeit.
»Ich heiße Joona Linna«, sagt er. »Sie wollten mir etwas sagen.«
Die Frau auf der Couch nickt und steht mühsam auf. Sie öffnet eine Schublade in ihrem Nachttisch und holt eine Gideons-Bibel heraus. Sie hält den Einband so, dass die Seiten sich über dem Bett auffalten. Ein kleiner, zusammengefalteter Zettel fällt auf die Tagesdecke.
»Joona Linna«, sagt sie und nimmt den Zettel. »Sie sind also Joona Linna.«
Er bleibt stumm, spürt bloß, dass sich die Migräne wie eine glühende Nadel durch seine Schläfe brennt.
»Wie können Sie nur so tun, als wäre Ihre Tochter tot?«, fragt Rosa Bergman.
Der Blick der alten Frau wandert zu der Fotografie an der Wand.
»Wäre mein Junge noch am Leben … Wenn Sie wüssten, wie es ist, sein Kind sterben zu sehen … Nichts hätte mich jemals dazu bewegen können, ihn zu verlassen.«
»Ich habe meine Familie nicht verlassen«, sagt Joona verbissen. »Ich habe ihr Leben gerettet.«
»Als Summa zu mir kam«, fährt Rosa Bergman fort, »erzählte sie mir nicht von Ihnen, aber sie war am Boden zerstört … am schlimmsten war es jedoch für Ihre Tochter, sie hörte auf zu sprechen, zwei Jahre sagte sie kein Wort.«
Joona läuft ein Schauer über den Rücken.
»Hatten Sie Kontakt zu den beiden?«, fragt er. »Sie sollten eigentlich keinen Kontakt zu ihnen haben.«
»Ich konnte sie nicht einfach verschwinden lassen«, sagt sie. »Sie taten mir so furchtbar leid.«
Joona weiß, dass Summa niemals seinen Namen erwähnen würde, wenn nicht irgendetwas furchtbar schiefgelaufen wäre. Es durfte keine Verbindung
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