Flandry 1: Im Dienst der Erde
Gesicht, das zu ihm hochsah, zeigte kaum eine Regung. Enriques antwortete mit tonloser Stimme: »Die Vorschriften verlangen, dass angeklagtes Personal auf Verlangen ihren Vorgesetzten überstellt wird. Das Imperium ist zu groß, als dass eine andere Regelung funktionieren könnte. Als Adliger besitzt Lord Hauksberg ein Reserveoffizierspatent und hat den Rang eines Captains inne; Mylord trat in dem Augenblick in den aktiven Dienst, in dem Commander Abrams ihm zugeteilt wurde. Sofern Sie von Ihrer Verwendung nicht detachiert wurden, ist Lord Hauksberg Ihr befehlshabender Offizier. Er hat in aller Form erklärt, dass durch Sie Staatsgeheimnisse und seine Mission im Namen des Imperiums gefährdet werden. Die Merseianer werden Sie an ihn zur Vernehmung übergeben. Sie haben Recht, ein Militärgerichtsverfahren muss auf einem imperialen Schiff oder Planeten abgehalten werden, doch bei der Festlegung des Termins besteht ein einjähriger Spielraum.«
»Nur wird es keine Verhandlung geben, Sir! Die Merseianer werden mein Gedächtnis löschen und mich töten!«
»Ensign, beherrschen Sie sich.«
Flandry schluckte. Dragoika bleckte die Zähne, hielt sich aber zurück. »Darf ich hören, was genau mir zur Last gelegt wird, Sir?«, fragte Flandry.
»Staatsverrat«, teilte Enriques ihm mit. »Meuterei. Desertion. Entführung. Nötigung unter Gewaltandrohung. Tätlichkeit und Körperverletzung. Diebstahl. Insubordination. Soll ich die ganze Liste runterbeten? Nein? Dachte ich’s mir doch. In der Zwischenzeit sind mehrere Punkte hinzugekommen: Obwohl Sie wussten, dass Sie gesucht werden, haben Sie sich nicht gestellt. Sie haben Missstimmigkeiten zwischen dem Imperium und einer assoziierten Macht bewirkt, die unter anderem Seiner Majestät Truppen auf Starkad gefährdet. Im Augenblick widersetzen Sie sich der Festnahme. Ensign, Sie haben für einiges geradezustehen.«
»Ich verantworte mich vor Ihnen, Sir, aber nicht vor … vor diesen verdammten Krokoschwänzen. Oder einem Terraner, der so sehr damit beschäftigt ist, vor ihnen herumzukriechen, dass ihm egal ist, was mit seinen Mitmenschen geschieht. Mein Gott, Sir, Sie haben imperiale Schiffe von Merseianern durchsuchen lassen!«
»Ich hatte meine Befehle«, erwiderte Enriques.
»Aber … Im Rang stehen Sie über Hauksberg!«
»Formal und bei bestimmten Verfahrensangelegenheiten, ja. Er ist jedoch in direktem kaiserlichem Auftrag tätig. Darum besitzt er das Recht, zeitweilige Übereinkünfte mit Merseia auszuhandeln, die im Folgenden zur Richtlinie werden.«
Bei Enriques’ letztem Satz hörte Flandry ein winziges Schwanken in der Stimme des Admirals. Er stieß sofort nach. »Sie haben gegen Ihre Befehle protestiert, Sir. Stimmt’s?«
»Ich habe eine Stellungnahme zur Grenzkommandantur gesandt, bislang aber noch keine Antwort erhalten. Wie auch immer, in diesem System befinden sich nur sechs merseianische Kampfschiffe, keines davon größer als Planet- Klasse, plus einige unbewaffnete Frachter, die als Hilfsschiffe abgestellt wurden.« Enriques schlug sich mit der Hand aufs Knie. »Was sitze ich hier und diskutierte mit Ihnen? Um mich zu sprechen, hätten Sie zumindest an Bord der Rieskessel bleiben können.«
»Um danach den Merseianern übergeben zu werden, Sir?«
»Vielleicht. Diese Möglichkeit hätte Ihre Entscheidung nicht beeinflussen dürfen. Denken Sie an Ihren Eid.«
Flandry ging im Kreis durch den Raum. Hinter seinem Rücken rang er mit den Händen. Dragoika legte die Finger an den Schwertgriff. »Nein«, sagte er auf Kursowikisch zu ihr. »Ganz gleich, was geschieht.«
Er fuhr auf dem Absatz herum und sah Enriques offen an. »Sir, ich hatte noch einen anderen Grund. Auf Merseia ist mir eine Reihe von Zahlen in die Hände gefallen. Sie hätten sie ohne Zweifel weitergeleitet, aber sie erfordern eine direkte Untersuchung, um sicherzustellen, dass ich richtig vermute, was sie bedeuten. Und wenn ich Recht habe, läuft der, der nachsehen geht, in einen Kampf. In ein Raumgefecht. Eine Eskalation, die Ihnen untersagt ist. So, wie man Ihnen die Hände gebunden hat, könnten Sie den erforderlichen Einsatz nicht anordnen. Sie müssten um Genehmigung nachfragen. Aber auf welcher Grundlage? Auf mein Wort hin, das Wort eines grünschnäbligen Ex-Kadetten, eines Meuterers, eines Verräters? Sie können sich vorstellen, wie die den Schwarzen Peter hin und her schieben würden. Bestenfalls würden Wochen vergehen, bis eine positive Antwort käme. Eher Monate.
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