Flashback
leere, blank polierte Mahagonipult des Milliardärs. Satos zwanglose Haltung am Tansu konnte – zumindest für Nick Bottom – nicht darüber hinwegtäuschen, dass er hellwach und auch unbewaffnet äußerst gefährlich war. Der Sicherheitschef strahlte die unbestimmte Bedrohlichkeit eines Exsoldaten, eines Polizisten oder eines anderen Berufsstandes aus, in dem man zum Töten ausgebildet wurde.
»Natürlich sind Ihre fachlichen Kenntnisse aus vielen Jahren beim Denver Police Department und Ihre wertvollen Einblicke in
die damaligen Ermittlungen die Hauptgründe dafür, dass wir Ihr Engagement für diese Untersuchung in Betracht ziehen«, bemerkte Mr. Nakamura in aalglattem Diplomatenton.
Nick atmete durch. Er hatte die Nase voll von Nakamuras Skript.
»Nein, Sir«, widersprach er. »Das sind nicht die wirklichen Gründe. Wenn Sie mir den Auftrag erteilen, den Mord an Ihrem Sohn zu untersuchen, dann nur, weil ich der einzige lebende Mensch bin, der – dank Flashback – jede einzelne Seite der damaligen Fallakten einsehen kann, die bei dem Cyberangriff vor fünf Jahren zusammen mit dem gesamten Archiv des DPD vernichtet worden sind.«
Und , denkt Nick, weil ich der einzige Mensch bin, der auf Flash jedes Gespräch mit Zeugen, Verdächtigen und anderen Detectives wiedererleben kann. Ich kann in der Mordakte nachlesen, die mit den Dokumenten verloren gegangen ist.
»Wenn Sie mich engagieren, Mr. Nakamura«, setzte Nick hinzu, »dann bloß, weil ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der knapp sechs Jahre zurückgehen und in diesem Mordfall alle Spuren wieder sehen und hören kann, die inzwischen so kalt sind wie die auf Ihrem katholischen Privatfriedhof in Hiroshima bestatteten Gebeine Ihres Sohnes.«
Mr. Nakamura atmete zischend ein, dann wurde es totenstill im Zimmer. Draußen plätscherte friedlich der kleine Wasserfall in den Teich des gleichmäßig geharkten Kiesgartens.
Nachdem er seinen ersten Trumpf ausgespielt hatte, verlagerte Nick das Gewicht und schaute sich mit verschränkten Armen um.
Berater Hiroshi Nakamuras Büro in seinem Privathaus hier in der japanischen Grünzone über Denver wirkte, obwohl erst kürzlich errichtet, als wäre es tausend Jahre alt. Und als wäre es in Japan.
Die Schiebetüren und -fenster – Shoji und die schwereren Fusuma – blickten alle auf den kleinen, aber erlesen formellen japanischen Garten. Im Raum selbst spendete ein einzelnes Shojifenster
einer winzigen Altarnische natürliche Helligkeit. Bambusschatten bewegten sich über eine perfekt auf dem lackierten Boden platzierte Vase mit herbstlichen Pflanzen und Zweigen. Die wenigen Möbelstücke waren nach japanischer Vorliebe asymmetrisch verteilt, und ihr antikes Holz war so dunkel, dass es förmlich das Licht schluckte. Dagegen strahlten die polierten Zedernholzböden und die Tatamimatten ihren eigenen warmen Schein aus. Von den Tatamis erhob sich ein sinnlicher, frischer Duft nach getrocknetem Gras. Aufgrund der Kontakte mit Japanern in seinem früheren Job als Mordermittler verstand Nick Bottom, dass in Mr. Nakamuras Anwesen – Haus, Garten, Büro, Ikebana und die wenigen bescheidenen, aber wertvollen Einrichtungsgegenstände – alles vollkommener Ausdruck der Schönheitsbegriffe Wabi (schlichter Friede) und Sabi (elegante Schlichtheit und Feier des Vergänglichen) war.
Allerdings war Nick das scheißegal.
Er brauchte diesen Auftrag, um an Geld zu kommen. Er brauchte das Geld, um Flashback zu kaufen. Und das Flashback brauchte er, um wieder mit Dara zusammen sein zu können.
Da er Satos Beispiel folgend seine Schuhe im Genkan, dem Eingangsbereich, ausgezogen hatte, wurde Nick Bottom in diesem Augenblick vor allem von dem Bedauern beherrscht, dass er sich am Morgen ausgerechnet diese schwarze Socke geschnappt hatte – die mit einem Riesenloch am linken Fuß, durch das sein großer Zeh lugte. Verstohlen zog er den Fuß ein, um den Zeh zurück durch das Loch zu bugsieren, aber um es richtig zu machen, hätte er beide Füße benötigt, und das wäre aufgefallen. Sato war ohnehin schon auf sein Gezappel aufmerksam geworden. Nick bog den Zeh zurück, so weit wie es ging.
»Was für einen Wagen fahren Sie, Mr. Bottom?«, erkundigte sich Nakamura.
Fast hätte Nick laut aufgelacht. Er war darauf gefasst, für die unverschämte Erwähnung der kalten Knochen des verehrten Sohnes
Keigo von Sato hinausgeworfen zu werden, aber mit einer Frage nach seinem Auto hatte er nicht gerechnet. Außerdem hatte ihn Nakamura
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