Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
mehr gemähte Gras, bis ich am Fuß der Mauer das Gesuchte entdeckte: ein Büschel hellrot schimmernder Pflanzen, deren dreiblättrige Stauden sich von den anderen Kletterpflanzen abhoben. Ich zog die baumwollenen Gartenhandschuhe an, die ich mir in den Gürtel gesteckt hatte, und machte mich, begleitet von einer schallend gepfiffenen Interpretation von Bibbidi-Bobbidi-Buu, frisch ans Werk.
Später, als ich glücklich wieder in meinem Sanctum Sanctorum, meinem Allerheiligsten, saß - auf diesen Ausdruck war ich in einer Biografie Thomas Jeffersons gestoßen und hatte ihn mir sogleich angeeignet -, stopfte ich die bunten Blätter in einen Destillierkolben und achtete darauf, dass ich die Handschuhe erst auszog, nachdem ich alles bis ganz unten auf den Boden gedrückt hatte. Nun kam der Teil, der mir am meisten Spaß machte.
Ich stöpselte den Destillierkolben zu, verband ihn auf einer Seite mit einem Glaskolben, in dem bereits Wasser kochte, und auf der anderen mit einer gewundenen gläsernen Kühlschlange, die in ein leeres Reagenzglas mündete. Das Wasser brodelte wie verrückt, und ich sah zu, wie sich der Dampf seinen Weg in den Kolben mit den Blättern bahnte. Die fingen schon an, weich zu werden und sich aufzurollen, während der heiße Dampf die winzigen Taschen zwischen den Zellen öffnete und die Essenz der Pflanze freisetzte.
So hatten schon die alten Alchimisten ihre Kunst praktiziert: Feuer und Dampf, Dampf und Feuer. Destillation.
Einfach herrlich.
Destillation. Ich sprach es laut vor mich hin: »Des-til-lation!«
Ehrfürchtig sah ich zu, wie sich der Dampf in der Glasspirale abkühlte und kondensierte, rieb mir verzückt die Hände,
als sich der erste klare Tropfen am Glasrand bildete - und mit vernehmlichem Plopp! in das Auffanggefäß fiel.
Als das ganze Wasser verdampft war, drehte ich den Bunsenbrenner aus, stützte das Kinn in die Hände und beobachtete gespannt, wie die Flüssigkeit in dem Reagenzglas zwei Schichten bildete. Unten auf dem Boden sah man das klare destillierte Wasser, obendrauf schwamm eine gelbliche Flüssigkeit, der Pflanzensaft. Er wurde Urushiol genannt, eine Substanz, die unter anderem bei der Lackherstellung verwendet wird.
Ich zog ein goldfarbenes Röhrchen aus der Pullovertasche, nahm die Kappe ab und musste schmunzeln, als die rote Spitze erschien. Es war Ophelias Lippenstift, aus der Schublade ihrer Frisierkommode geklaut, wie auch die Perlenkette und die Pfefferminzbonbons. Und Feely - Fräulein Rotzfahne - war nicht mal aufgefallen, dass ihr heißgeliebter Lippenstift verschwunden war.
Apropos Pfefferminzbonbons - ich steckte eins in den Mund und zermalmte es krachend.
Der Lippenstift selbst ließ sich ganz leicht herausdrehen. Ich zündete den Bunsenbrenner wieder an. Der wachsähnliche Stift verwandelte sich im Nu in eine klebrige Masse. Wenn Feely wüsste, dass man Lippenstifte unter anderem aus Fischschuppen herstellt, dachte ich, wäre sie vielleicht nicht ganz so erpicht darauf, sich das Zeug auf den Mund zu schmieren. Ich musste es ihr bei Gelegenheit mal erzählen. Aber das hatte Zeit.
Mit einer Pipette entnahm ich dem Reagenzglas eine kleine Menge destillierten Saft, ließ ihn vorsichtig in die Lippenstiftpampe tröpfeln und rührte die Mixtur mit einem Holzspatel kräftig durch.
Zu dünn, fand ich, nahm ein Gefäß aus dem Regal und fügte ein paar Klümpchen Bienenwachs hinzu, um die ursprüngliche Konsistenz zu erreichen.
Jetzt war es wieder Zeit für die Handschuhe - und für die eiserne Patronengussform, die ich mir aus der recht passablen Feuerwaffensammlung von Buckshaw ausgeborgt hatte.
Schon komisch, dass ein Lippenstift genauso groß ist wie ein Projektil vom Kaliber 45. Gut zu wissen, jedenfalls. Wenn ich heute Abend im warmen Bettchen lag, musste ich ausführlicher darüber nachdenken, was sich mit diesem Wissen noch alles anfangen ließ, jetzt war ich zu beschäftigt.
Nachdem ich den roten Pfropf behutsam aus der Gussform gelöst und unter kaltem Wasser abgekühlt hatte, passte er wieder anstandslos in seine goldene Hülse.
Ich drehte ihn mehrmals raus und rein, um mich zu vergewissern, dass der Stift einwandfrei funktionierte, dann schob ich die Kappe wieder darüber. Feely war eine Langschläferin und saß bestimmt noch beim Frühstück.
»Wo ist mein Lippenstift, du Miststück? Was hast du damit gemacht?«
»Der liegt in deiner Schublade«, antwortete ich. »Da hab ich ihn jedenfalls gesehen, als ich deine Perlenkette
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