Fleckenteufel (German Edition)
Frühstück. Mittag. Abendbrot. Zwischenmahlzeiten. Brotzeit. Grillen. Die Bücher bestehen praktisch nur aus Mahlzeiten, Mahlzeiten, Mahlzeiten. Die Abenteuer sind nur vorgeschoben, damit die fünf Freunde genug Kalorien für die nächste Mahlzeit verbrauchen. Enid Blyton hat begriffen, um was es geht: Alle Kinder und Jugendlichen sind notorisch hungrig, und sie lesen nichts lieber als den Inhalt von prallgefüllten Picknickkörben.
Detlef hat derartigen Mundgeruch, dass er den ganzen Bus vollmieft. Das ist doch krankhaft! Außerdem bohrt er sich mit beiden Zeigefingern in den Nasenlöchern herum. Er bohrt und bohrt, und wenn er fündig geworden ist, schmiert er die Sauerei unauffällig unter die Lehne. Von wegen unauffällig, ich sehe alles: Runde Wasserpopel, grüne Schorfpopel, eitrige Blutpopel und klebrige Sehnenpopel geben sich ein ekliges Stelldichein. Bohr, stocher, wühl. Lange kann es nicht mehr dauern, bis ihm die aufgerissenen, blutenden, vereiterten Nasenflügel in Fetzen herunterhängen. Team «wund»: Ich wunder Arsch und er wunde Nasenflügel. Ich stelle mir vor, wie ich ihn fessle, dann stecke ich mir vor den Augen des Schreckgelähmten einen Finger in den Arsch und pule anschließend damit in seiner Nase herum. Als ich noch klein war, hat mich mein Opa mal gefragt, ob ich Haare in der Nase hab, und da ich nicht wusste, was ich antworten soll, hab ich einfach ja gesagt. Daraufhin Opa: «Und ich hab welche am Arsch. Die können wir zusammenbinden, harhar.» Ich fand die Vorstellung dermaßen widerlich, dass ich wochenlang an nichts anderes denken konnte und wahnsinnige Angst davor hatte, mit Opa allein zu sein.
In der Nougathöhle
Nach drei endlosen Stunden passieren wir das Ortsschild. Ostseebad Scharbeutz. Hier liegt der Hund begraben, das sieht man gleich. Ampeln, Zebrastreifen, Seitenstraßen, Sackgassen, schließlich biegen wir in die Strandstraße. Irgendwann endet der asphaltierte Teil, danach ist die Strandstraße keine Straße mehr, sondern nur noch ein von Schlaglöchern durchsiebter Trampelpfad. Ruckel ruckel, holper holper. Endlich hält der Bus, am allerallerletzten Haus der Strandstraße, dahinter beginnt stacheldrahtumzäuntes Niemandsland, Vogelschutzgebiet. Die anderen Häuser heißen nach Vögeln: Haus Seemöwe, Haus Schwalbe, Haus Seeadler, Haus Fink, unser Haus hat keinen Namen. Schade eigentlich.
Als Erstes fällt mir ein eigentümlicher Geruch auf, der in der Luft liegt. Ich weiß sofort, dass es nirgendwo auf der Welt so riecht wie beim allerallerletzten Haus vor dem Vogelschutzgebiet in Scharbeutz, so was weiß man einfach. Vordergründig riecht es wie überall am Meer, nach Salzwasser, Algen, Gras, Sand, Möwen, Muscheln und was weiß ich. Aber dahinter, darunter, dazwischen, davor liegt noch eine zusätzliche Note. Nachdem wir ausgestiegen sind, laufen alle Jugendlichen hinters Haus (ich auch), Meer gucken. Die offene See, das Ostmeer, endlich! Irgendwo, unendlich weit hinter dem Horizont, liegt Amerika, denke ich. Natürlich ist das Quatsch, aber egal. Die USA werden seit ein paar Monaten von Jimmy Carter regiert, der im Hauptberuf Erdnussfarmer ist. Was für eine schlechte Idee, dass der mächtigste Mann der Welt Erdnussfarmer ist. Man stelle sich vor, Bundeskanzler Schmidt wäre Imker oder betriebe ein gottverdammtes Kinderkarussell. Eben. Jeden Morgen sitzt Jimmy Carter über beide Backen grinsend mit seiner debilen Großfamilie am Frühstückstisch und stopft dick mit Erdnussbutter bestrichene Weißmehlbrote in sich hinein. Dann legt er sich erst mal wieder hin, weil er so vollgefressen ist. Helmut Schmidt hingegen sitzt mit Frau Loki im spartanisch eingerichteten Reihenhauswohnzimmer, raucht zum Frühstück Zigaretten und trinkt Bohnenkaffee, um einen klaren Kopf zu bewahren. Das ist der Unterschied. Jimmy Carter wird als unbedeutendster Präsident der Vereinigten Staaten in die Geschichte eingehen, so viel steht jetzt schon fest.
Die Erwachsenen interessieren sich nicht sonderlich fürs Meer. Sie sind sofort ins Haus gegangen, um ihre Zimmer zu beziehen und die Koffer auszupacken, und danach erschöpft nach unten in den Gemeinschaftsraum, eine rauchen. Die Jugendlichen sind nicht im Haus , sondern in Zelten untergebracht, poröse, schmuddelige Viermannzelte, die dicht an dicht auf einer kleinen Wiese stehen. Getrennt sind Haus und Wiese durch eine hölzerne Wasch- und Kackbaracke, die nicht nur Arm von Reich trennt, sondern auch den Zeltplatz: in den Jungen-
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