Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresa Baeuerlein
Vom Netzwerk:
Hülsenfrüchte pflanzen, die Stickstoff aus der Luft aufnahmen und mit Hilfe von Bakterien im Boden fixierten, oder sie konnten die Felder mit Mist von Tieren düngen. Beide Methoden funktionierten, aber sie kosteten Zeit, und der Ertrag war begrenzt.
    Deswegen war es ein echtes Jahrhundertereignis, als der Berliner Chemieprofessor Fritz Haber Anfang des 20. Jahrhunderts beim kaiserlichen Patentamt ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Ammoniak anmeldete. Ihm war es gelungen, aus Luftstickstoff und Wasserstoff Ammoniak herzustellen. Am moniak ist das, was in öffentlichen Toiletten stinkt, ein Molekül aus Stickstoff und Wasserstoffatomen. Es ist die Grundlage für die Herstellung von Mineraldünger. Und ohne die Ammoniaksynthese sähe die heutige Welt der des frühen 20. Jahrhunderts sehr viel ähnlicher.
    Fünf Jahre nach Habers Patent entwickelte Carl Bosch im Auftrag der BASF die Habersche Idee weiter. Das Ergebnis, das Haber-Bosch-Verfahren, diente zunächst vor allem den Kriegsherren während des Ersten und Zweiten Weltkriegs: Ammoniak wurde zur Herstellung von Schießpulver und Sprengstoff genutzt. Krieg ist nicht gerade das, was man mit golden wogenden Weizenfeldern verbindet. Aber auch in den USA war der Zweite Weltkrieg der Ausgangspunkt für den Siegeszug des chemischen Düngers: Nach 1945 kippte man das überschüssige Ammoniumnitrat (eine Verbindung aus Ammoniak und Salpetersäure), das für Sprengstoff hergestellt worden war, als Dünger auf die Felder. Die Entwicklung der chemischen Düngerindustrie in den USA basierte letztlich auf dem Bemühen der Regierung, ihre Restbestände aus dem Zweiten Weltkrieg loszubringen. (Ähnliches gilt übrigens auch für Pesitzide, die ursprünglich auf die Entwicklung von Kampfgas zurückgehen.) Schwerter zu Pflugscharen also, im (fast) wörtlichen Sinne.
    Das Haber-Bosch-Verfahren setzte eine Revolution in der Landwirtschaft in Gang. Bis zu seiner Erfindung bestimmte das Land selbst, also die Qualität des Bodens mit seiner Nährstoffdichte und seine Fähigkeit sich zu regenerieren, die Größe der Ernten. Mit der Synthese von Ammoniak aus Luftstickstoff und Wasserstoff gelang es Fritz Haber, die Stickstoffvorräte der Luft anzuzapfen. So wurden sie für die chemische Industrie nutzbar und konnten via Kunstdünger in die Nahrungskette eingespeist werden. Der wunderbare Trick des Mineraldüngers besteht darin, dass er die endliche Ressource Stickstoff, die im Boden von Natur aus eben nur begrenzt vorhanden ist, in einen unendlichen Erntesegen verwandelt: In der Luft ist Stickstoff ja in unbegrenzter Menge vorhanden. Der neue Dünger machte Landwirte unabhängig von den natürlichen Prozessen, die die Erde fruchtbar halten. Der Dünger war buchstäblich »Brot aus Luft«, wie es in der Laudatio zum Chemie-Nobelpreis hieß, den Haber 1918 bekam.
    Von da an änderte der Charakter der Landwirtschaft sich grundlegend und rasend schnell. Die alten Methoden galten als überholt, die Natur wurde kurzerhand an die Bedürfnisse des Menschen angepasst. Die Folge war ein bis dahin ungekannter Überfluss.
    Riesige Ernten wurden möglich und damit riesige Überschüsse. Die alte Landwirtschaft schien passé. Mineraldünger wirkte nicht nur effizienter, sondern auch schneller als organische Mittel. Während Mist, der auf den Acker ausgebracht wird, erst über den Verarbeitungsprozess der Bodenlebewesen für Pflanzen verfügbar wird, steht Mineraldünger sofort bereit. Man kann ihn einfach in die Erde einarbeiten. Dazu ein Regenguss, und das Buffett für die Pflanzen ist eröffnet.
    So weit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht lautet, dass Mineraldünger das Bodenleben nicht fördert und auch nicht den Boden verbessert. Es ist ein ähnlicher Effekt wie beim Menschen, der einen zuckrigen Schokoladenriegel isst. Die Verdauung muss nicht lange arbeiten, der Körper bekommt sofort Energie zugeführt.
    In mancher Hinsicht ist das ein Grund zum Feiern, in anderer eher einer zum Weinen. Mineraldünger hat Hungersnöte in Europa zur Geschichte gemacht und einen Prozess gewaltigen Überflusses in Gang gesetzt. Fruchtbarkeit war säckeweise zu kaufen. Dank des Düngers sind unsere Nahrungsmittel sehr billig geworden, nur noch wenige von uns müssen sich tatsächlich mit ihrer Erzeugung beschäftigen. (Städte in der Größe, wie wir sie heute kennen, wären anders nicht möglich gewesen.) Regionen, die von der Agrarrevolution des 20. Jahrhunderts erreicht wurden, steigerten

Weitere Kostenlose Bücher