Fleisch essen, Tiere lieben
Milch sind es knapp 21. Für Käse, der ja nichts anderes ist als verarbeitete Milch, dürfte die Bilanz noch schlechter ausfallen.
Aber selbst dann, wenn man auf Eier, Milch und Tofu verzichtet und nur noch Linsen und Bohnen isst, um seinen Proteinbedarf zu decken, kann man nicht reinen Gewissens sein. Denn auf Kohlenhydrate lässt sich schlecht verzichten. Wer satt werden will, isst sie: isst Brot, Nudeln und Reis. Zusammengenommen nehmen Getreide– und Sojafelder etwa 40 Prozent der weltweiten Anbaufläche ein. Diese Pflanzen sind, im Gegensatz zu dem, was die Schwarz-Weiß-Logik mancher Anti-Fleisch-Debatte zu suggerieren scheint, keine unschuldigen, gewaltfreien Lebensmittel. Erst recht nicht, wenn sie, wie fast alles, was in den Gemüseregalen von Supermärkten liegt, konventionell angebaut werden.
Wenn wir an Getreideanbau denken, assoziieren die meisten von uns Bilder aus Kinderbüchern: wogende Felder, ein Traktor hier und da, eine Vogelscheuche, die zwischen goldenen Ähren steckt. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Früher waren Höfe Selbstversorgerbetriebe, die fast alles, was sie brauchten, selbst produzierten und verwerteten. Die Pflanzen, die der Bauer anbaute, dienten teils den Menschen als Nahrung, teils als Saatgut für die nächste Ernte, teils den Hoftieren als Futter. Die Tiere wiederum lieferten Mist, Arbeitskraft und Fleisch. Der Nährstoffkreislauf war geschlossen, die Böden blieben fruchtbar. Die Entwicklung unserer urbanen Lebensweise hat das gründlich geändert. Heute treten die Nährstoffe, welche via Maisfeld und Weizenacker aus dem Boden gezogen wurden, eine weite Reise Richtung Städte an, wo urbane Supermarktkunden, die niemals auch nur einen Stängel Hafer gepflückt haben, sie in Form von Pasta, Brot und Cornflakes verzehren (und dabei auch noch jede Menge Abfall produzieren). Produziert wird auf dem Land, gegessen wird – weltweit mehr und mehr – in der Stadt. Zurück bleiben Böden und Landwirte, die den Nährstoffverlust auf ihren Äckern irgendwie wettmachen müssen. ³⁶ Und das tun sie, in fast jedem Fall, mit Mineraldünger.
In Sachen Ertrag ist das sehr effizient – ein mit Mineraldünger behandelter Acker liefert reiche Ernten –, in fast jeder anderen Hinsicht aber sehr problematisch. Die industrielle Landwirtschaft, welche die scheinbar friedlichen Pflanzen herstellt, auf denen eine vegetarische Ernährung basieren muss, wenn sie ausgewogen sein soll, hat riesige, komplexe Wirkungen auf Umwelt und Wirtschaft. Ja, sie ermöglicht es, sehr viel Nahrung sehr billig herzustellen. Aber die tatsächlichen Kosten dieser Praxis liegen weit höher, als das Paket Mehl für 39 Cent beim Discounter suggeriert. Denn die tatsächlichen Kosten können nicht am Preisschild abgelesen werden.
Reis, Mais, Soja, Weizen und Gerste, die Getreidesorten also, die die Menschen in Form von Brot, Frühstücksflakes, Fleischersatz und Sättigungsbeilage massenweise futtern, verschlingen unendliche Mengen an Ressourcen. Also einerseits fruchtbaren Boden, auf dem vor allem die wichtigsten Pflanzen, Getreide und Soja, in Monokultur und unter Einsatz von chemischen Hilfsmitteln angebaut werden, bis selbst die nährstoffreichste Erde nur noch aus toten Krümeln besteht. Andererseits Energie. Denn die Atmosphäre gibt ihren Stickstoff, der die reichen Ernten möglich macht, nur scheinbar kostenlos her. Damit das Haber-Bosch-Verfahren sein fast schon biblisches Luft-zu- Brot-Wunder vollziehen kann, müssen große Mengen Energie investiert werden. Kurz gesagt, wird aus einem Gasgemisch aus Stick stoff und Wasserstoff mit Hilfe eines Katalysators unter Einfluss von großem Druck und starker Hitze Ammoniak gewonnen. Das erfordert große Mengen Elektrizität und Rohstoffe wie Kohle, Erdöl oder Erdgas. Ohne die Entwicklung der Erdölindustrie wäre die Düngerindustrie in ihren Kinderschuhen stecken geblieben. Das mag nebensächlich klingen, ist auf den zweiten Blick aber der Schlüssel zum besseren Verständnis der Vegetarismusdebatte. Denn ein Kilogramm Stickstoff in Düngerform schluckt das energetische Äquivalent von einem Liter Erdöl. ³⁷ Etwa 100 Millionen Tonnen Stickstoff werden jährlich für Dünger fixiert. ³⁸ Und das ist noch längst nicht alles. Auch die Herstellung von Pestiziden und natürlich die von Treibstoffen, die Traktoren und Erntemaschinen antreiben, verbraucht Energie. Insgesamt hat die Industrialisierung der Landwirtschaft den Verbrauch der Energie im Vergleich
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