Fleisch essen, Tiere lieben
gewaltfreien Vanillepudding und gewaltfreie Brotaufstriche. Cruelty-Free: Ein Siegel, das ich gerne auf mein ganzes Leben geklebt hätte. Es ist nicht leicht, es aufzugeben.
Vegetarismus war für mich nie das höchste Ziel, letztlich wollte ich mich ganz ohne Tierprodukte ernähren. Einige Monate lang habe ich das sogar durchgehalten. Jede Form des Verzichts ist auf ihre Art lehrreich, und auch mein Veganertum war eine interessante Erfahrung. Da ich mich für Fragen der Ernährung begeistere, kochen kann und gerne experimentiere, war es noch nicht einmal sehr schwer. Ich lernte, aus Nuss- und Mandelmus cremige Saucen zu rühren, Käse durch Hefeflocken zu ersetzen und aus Weizenmehl Seitan herzustellen, neutral schmeckende Klumpen aus Weizeneiweiß, die jede Art von Geschmack aufsaugen können und im Gegensatz zu Tofu sogar eine kaubare Konsistenz annehmen. Je nach Zubereitungsweise schwankt die Textur zwischen zartestem Kalbfleisch und Ge hirnmasse. Meine Familie bekam an einem der Weihnachtsfeier tage ein Seitan-Bourguignonne kredenzt, die Fleischesser waren sehr angetan. Wenn Seitan-Bourguignonne allein die Welt retten könnte, wäre ich mit Freuden dabei.
Genau das ist allerdings mehr als fraglich. Sicher: Wenn die gesamte Erdbevölkerung von heute auf morgen auf Fleisch, Milch und Seidenunterwäsche verzichten würde, hätte dies einen positiven Effekt auf die Umwelt. Aber letztlich würde dieser Schritt die Zerstörung unserer Lebensgrundlage nicht verhindern, sondern nur verlangsamen. Was der Umwelt zu schaffen macht, ist das System der Nahrungsmittelproduktion, an das wir uns gewöhnt haben. Anders gesagt: Die Wurzel des Problems ist nicht die Tatsache, dass wir Fleisch essen. Sondern, dass der weitaus größte Teil unserer Lebensmittel nicht nachhaltig produziert wird. Innerhalb des bestehenden Systems haben Soja und Rostbratwurst das gleiche Problem.
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Brot aus der Luft
Ich will hier nicht die Schrecken der Massentierhaltung und -schlachtung aufzählen. Nicht, weil es diese Schrecken nicht geben würde oder weil sie nicht relevant wären. Im Gegenteil. Aber diese Bücher sind bereits geschrieben worden. Man kann es kurz zusammenfassen: Die Massenschlachterei, die endlosen Fleischberge, das muss aufhören. Im Grundsatz ist es tatsächlich so einfach. Wer sich ein genaues Bild machen möchte, kann ent sprechende Informationen überall finden. Jonathan Safran Foers Buch »Tiere essen« – das übrigens völlig zu Unrecht als Vegetariermanifest verstanden wird ²⁴ – ist dafür eine sehr gute, wenn auch sehr verstörende Quelle.
In diesem Buch geht es um etwas anderes. Man kann nicht beurteilen, welches Essen man auf seinem Teller haben will, wenn man nicht weiß, wo es herkommt. Und erst, wenn man die Zusammenhänge begreift, kann man verstehen, dass eine reine Pflanzendiät nicht die einzig mögliche Art einer friedlichen Ernährungsweise darstellt.
Als Teenager war ich eine Zeit lang süchtig nach dem Spiel »SimFarm«. Meine beste Freundin besaß einen Computer, damals noch eine wilde Sache, der im Keller ihrer Eltern stand. Ich tat so, als käme ich zum Spielen im Garten, aber bei der ersten Gelegenheit zerrte ich meine Freundin vor den Computer. In »SimFarm« besaß ich einen virtuellen Bauernhof. Ackerbau funktioniert in diesem Spiel so: Nimm ein Stück Land, pflüge es um, säe Pflanzensamen. Dann kippe ordentlich Chemie auf die Felder: Fungizide, Herbizide, Pestizide und natürlich Dünger. Per Mausklick ließ ich sie über meine Felder sprühen. Bioanbau war in »SimFarm« kein Thema. Waren die Pflanzen groß genug, kamen Ernte und Verkauf. Anschließend ging das Ganze von vorne los: Nimm ein Stück Land …
Die Realität der modernen, konventionellen Landwirtschaft sieht dem Spiel erstaunlich ähnlich. Ihr leitendes Prinzip geht auf den Gießener Chemiker Justus von Liebig zurück, den man mit einiger Berechtigung als den Begründer der modernen Landwirtschaft bezeichnen kann. Liebig beschäftigte sich mit einer Frage, die schon spätmittelalterliche Alchimisten zu lösen versucht hatten: Wie konnte man künstlich die Erträge in der Landwirtschaft steigern? ²⁵ Die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen auf dem Gebiet der Pflanzenernährung fasste er so zusammen: »Als Prinzip des Ackerbaus muss angesehen werden, dass der Boden in vollem Maße wieder erhalten muss, was ihm (mit dem Erntegut) entnommen wurde.«
Kurzer Exkurs in die Geschichte: In den Anfängen des Ackerbaus war
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