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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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1985
    Im Zwergenhaus
    Ich hatte Mutter versprochen, endlich unseren winzigen Rasen zu mähen, und nun mühte ich mich an diesem brüllend heißen Augustnachmittag 1985 mit den Kanten ab. Bevor ich mir die gesamte Fläche vornahm, trimmte ich immer zuerst penibel die Rasenkanten. So richtig toll wurde es nicht, aber das war nicht meine Schuld, sondern die meines verstorbenen Großvaters, der zu Lebzeiten jede handwerkliche Eigeninitiative seines Enkels mit der Bemerkung
Zwei linke Hände und lauter Daumen
zu ersticken pflegte. Der alte Despot hatte lieber alles selber gemacht, weil es ihm bei mir zu langsam ging. Die Spätfolgen seiner pädagogischen Konzeptlosigkeit konnte er jetzt posthum besichtigen. Es war ein Trauerspiel.
    Das Blut schoss mir über der harten körperlichen Arbeit in den Kopf und weiter in jeden einzelnen meiner Pickel. Ich war dreiundzwanzig und litt seit nunmehr elf Jahren an
Acne Conglobata
, der schlimmsten Form dieser elenden Hauterkrankung, die unbehandelt auch NIEMALS besser wird. Pusteln mit oder ohne Eiterhaube, Mitesser und tief in der Haut verankerte Flechten bedeckten Gesicht, Nacken, Rücken und Schulter. Die Pickel wirkten irgendwie gar nicht mehr wie Pickel, sondern wie etwas viel Schlimmeres, sie wirkten wie eine unbekannte Weltraumkrankheit. Ich sah aus wie eine Versuchsperson, bei der die Tests schief gelaufen waren. Im Sommer sah es immer besonders schlimm aus, da ich mich vor Scham schon seit Jahren nicht mehr der Sonne ausgesetzt hatte und komplett ausgeblichen war. Die roten Aknehörner setzen sich auf meinerkalkweißen Haut deutlich ab und waren schon von weitem gut zu erkennen. Nach einer erfolglosen Endlosschleife im therapeutischen Bermudadreieck Vitamin- A-Säure , Breitbandantibiotika und Eigenblutbehandlung hatte ich die Akne als Schicksal angenommen und wartete einfach mal so ab. Vielleicht würde sich alles ganz plötzlich und unerwartet ändern, denn das Leben schlägt ja die tollsten Kapriolen. Bis dahin hieß es geduldig ausharren und weiterhin fleißig Rasen mähen und Hecke stutzen. Ich war gerade fertig mit den elenden Kanten, als das Telefon klingelte. Mein entfernter Bekannter Jörg.
    «Kurze Frage, kurze Antwort, ich hab ne Anfrage fürs übernächste Wochenende, hast du da Zeit?»
    «Weiß ich im Moment nicht so genau, da muss ich in meinen Kalender gucken, wart mal einen Augenblick.»
    Ich blätterte ein bisschen im Telefonbuch.
    «Um was geht’s denn überhaupt?»
    «Ne Tanzband aus Lüneburg,
Tiffanys
heißen die, die brauchen für übernächstes Wochenende noch nen fünften Mann.»
    Jörg war ein ziemlich dröger Zeitgenosse. Sein Phlegma wirkte ansteckend, und schnell verfiel ich in denselben, monotonen Sprachrhythmus.
    «Ich weiß im Moment auch nicht genau, du kannst denen ja meine Nummer geben.»
    «Wart mal eben einen Augenblick, da kommt gerade ein Kunde.»
    Jörg arbeitete in einem kleinen Musikgeschäft mit dem Namen
Ohrenschmaus
. Viele junge Männer, die in Musikaliengeschäften arbeiten, wären eigentlich lieber richtige Musiker und begreifen solche Tätigkeiten lediglich als Interimslösung. Doch meist reicht die Begabung nicht aus, und sie bleiben in diesen Jobs stecken bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, ein Schicksal, das auch Jörg drohte. Er hatte sich ausgerechnet die Bassgitarre ausgesucht, dass vermutlich unspektakulärste Instrumentder Welt. Jeden Abend nach der Arbeit hockte er in seinem verschwitzten Jugendzimmer (er wohnte noch
zu Hause
) und versuchte, Kontrolle über den störrischen Viersaiter zu erlangen. Wenn es zum Gitarristen nicht langte, dann wurde man Bassist. Bei den Girls konnte man damit natürlich nicht punkten.
    «Hallo, bist du noch dran?» Jörg hatte den Kunden offenbar erfolgreich vergrault.
    «Ich hab die Nummer hier. Du sollst den selber mal anrufen, der Typ heißt Gurki.»
    «Was ist denn das für ein Name? Das klingt ja so wie Goofy in doof. Der heißt doch sicher auch richtig!»
    «Mann, ich weiß auch nicht, wie der richtig heißt, ich soll das nur ausrichten. Ich hab jetzt auch keine Zeit. Soll ich dir die Nummer geben oder nicht? Mir ist das doch egal.»
    Seine Stimme klang kraftlos und aggressiv zugleich.
    «Ja, dann sag mal.»
    Kaum hatte ich aufgelegt, fing ich an, albern im Flur rumzuhüpfen. Lieber Gott, danke, danke, danke! Die Nachfrage nach meiner Arbeitskraft tendierte im Allgemeinen gegen null, und Tanzmusik war schließlich besser als nix. Vor Aufregung rauchte ich erst einmal zwei Zigaretten

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