Fleisch und Blut: Der Kannibale (German Edition)
sehen können, mit wie viel Passion er die Sitte weiterführte.
Der Mann mit kurzgeschorenem Haar gab ein wenig Koriander, fein gemahlenen Kümmel und Pfeffer zum Knoblauch hinzu, den er zuvor in der roten Brühe zerstossen hatte. Er verrührte die schmackhaften Gewürze und salzte den Sud.
«Cormarye, Cormarye», sang er freudig vor sich hin.
Dann widmete er sich wieder dem Fleisch. Einige Portionen hatte er in den Tiefkühler gepackt und einen weiteren Teil davon entsorgt. Die artgerechte Verwertung und Entsorgung gehörten genauso zum Ritual. Doch seine Aufmerksamkeit galt dem Festschmaus am heutigen Abend. Dafür hatte er sich ein besonders leckeres Stück bereit gelegt.
Die etwa zwei Kilogramm schwere Hinterbacke eignete sich geradezu perfekt für seinen Bärenhunger. Der Drang, in das Fleisch hineinzubeissen, es genüsslich im Gaumen zu kauen und es in sich aufzunehmen, war stärker denn zuvor. Er stach mit einer Gabel ins Fleisch und lobte die ausgezeichnete Qualität seiner Beute. Sein Mund war wässrig geworden. Wieder sang er «Cormarye, Cormarye.» Und summte weiter. Nun legte er den Braten in die blutrote Marinade und liess ihn darin kurz ziehen. Er klatschte sich in die Hände, strahlte übers ganze Gesicht. Seine Augenäpfel stachen gierig hervor. Er schlürfte seinen Speichel und leckte sich die Unterlippe.
Heute trug er wieder die Kutte, die sein Vater damals bereits getragen hatte, wenn er die Zeremonien hielt. Der robuste Ledergurt hielt die Kutte in den Hüften eng zusammen, damit die Begierde nicht zu stark wurde. Es war dasselbe Ritual: erst wurde vom Saft gekostet, dann sang man zusammen ein Lied in Gedenken an die Verstorbenen. Es hatte viel mit Respekt zu tun. Respekt gegenüber den Ahnen, gegenüber der Tradition und der Beute gegenüber. Lebewesen zu essen, war etwas Besonderes und für den heutigen Schmaus hatte er sich ein hervorzuhebend potentes Objekt ausgesucht.
Mit dem Suppenlöffel kostete er die Marinade. «Perfekt!», lobte er die Gewürzsauce und sang wieder seine Melodie: «Cormarye, Cormarye.»
Er leckte sich die Tropfen von den Fingerspitzen und schob den Leckerbissen in den Ofen. Eine ganze Weile starrte er durch die Ofenscheibe auf den Braten. Sein Magen rumorte hörbar. Er war schon ganz zittrig und kraftlos vor lauter Hunger.
Es war immer derselbe Kreislauf: Die Vorfreude, verbunden mit dem Plan, frische Beute zu jagen. Die Beute erst einmal ins Visier genommen, starteten die Vorbereitungen zur Jagd, das Töten, Schlachten, Ausnehmen und in Stücke teilen. Jede Sekunde in diesem Ritual war ein Genuss für sich. Die Jagd als solche beschrieb er als Adrenalin-Kick. Hatte er die Beute erst einmal erlegt, fühlte er sich als Held.
Dass man das Lebewesen tötete, gehörte dazu. Sein Vater hatte es ihm beigebracht. Es war dasselbe wie beim Schlachten eines Schweines oder Rindes. Das Lebewesen durfte nicht leiden. Es sollte eines glücklichen Todes sterben, damit die Seele rein blieb. Das Schlachtritual verband ihn mit seinem Vater. Wenn er damals dabei sein durfte, war es immer etwas Spezielles gewesen. Von da an hatte er diesen Traum; den Traum vom Schlachten, der ihm nie mehr aus dem Kopf ging.
Nur einmal schmerzte es ihn im Herzen. Das lag lange zurück. Es war das erste Mal gewesen, als er als damals 6-Jähriger dem Schlachtritual beiwohnte und seinen geliebten Buddy, seinen Hund, am Schlachthaken mit abgezogener Haut hängen sah. Sein Vater hatte nur gelacht, ihn dann getröstet und ihm erklärt, dass Buddy einen wertvollen Beitrag für seine Gesundheit leisten wollte und es Buddys Wille gewesen wäre zu sterben. Sein Vater erklärte ihm auch, dass die Beute dazu auserkoren war und brachte ihm bei, jeden Bissen zu schätzen, ihn ordentlich zu kauen und Dankbarkeit zu zeigen. Seither konnte er gut damit umgehen, wenn ein Familienmitglied oder Freund von ihm sterben musste. Denn er wusste, dass der Tod und das Leben nahe beieinander lagen und jemand sterben musste, damit seine Seele weiterleben konnte.
Auch dieses Mal hatte er dem Sterbenden in die Augen geblickt. So, wie er es immer tat. Er hatte den Übergang vom Leben zu Tod bewusst miterlebt. Später, als er ihn seiner Innereien entledigte und ihn in Stücke sägte, wurde sein Hunger stärker. Am liebsten hätte er gleich rein gebissen.
Noch immer sass er in der Hocke vor dem Ofen und starrte gierig auf seinen Braten.
«Cormarye, Cormarye» sang er wieder und goss einen
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