Fleisch und Blut - Der Kannibale
Vaters. Das Haar war wieder frisch geschoren. Das Feuer glühte in seinen Augen: das Fleisch war von ausgezeichneter Qualität. Behutsam hob er den Schenkel und begutachtete ihn rund herum, bevor er ihn wieder zurück zum schon portionierten Fleisch legte. Ein leckeres Stück hatte er für heute Abend vorgesehen. Nur schon der Gedanke daran liess in ihm pure Lebensfreude hochkommen.
Es war an der Zeit, sich zu stärken und sich erneut ein Stück von dem kostbaren Fleisch zu gönnen. Nicht, dass der Journalist nicht geschmeckt hätte, im Gegenteil, sein Fleisch war herzhaft gewesen, sein Blut Balsam für die Seele – alles in allem ein echter Leckerbissen. Aber eben, der letzte Bissen war gegessen, jetzt brauchte er neues Fleisch. Sein Trieb nach der schmackhaften Nahrung war zu stark, stärker als sein Wille, darauf zu verzichten. Die einen mögen das kennen, wenn es um Süssigkeiten geht. Bei ihm war es nun halt das Fleisch. Also machte er sich auch kein schlechtes Gewissen deswegen.
Dass er seine Beute tötete, war natürlich verboten. Das wusste er. Doch was sollte er gegen sein Verlangen tun. Er empfand es nur als menschlich und war fest davon überzeugt, dass es seine Opfer so wollten. Nicht, dass er speziell Freude am Schlachten verspürte, doch zugegebenermassen war seine Vorfreude auf das potente Fleisch immer schon gross gewesen. Ja, so sah er das.
Als er vor zwei Tagen noch darüber sinniert hatte, wen er als sein nächstes Opfer auserwählen werde, war er deutlich mehr angespannt gewesen, wenn nicht schon genervt. Die Spannung in ihm hatte sich verstärkt. Er war gedrängt, ein neues Opfer zu finden.
Die Auswahl des Opfers musste gut überlegt, das Risiko musste berechnet werden. Sein Nachbar kam als Beute definitiv nicht in Frage. Diese Familie hatte sich mit der Creutzfeldt Jakob-Krankheit infiziert. Die Mutter war früh verstorben, länger überlebt hatten der Vater und die drei Söhne, doch schliesslich hatte die Krankheit auch sie dahingerafft, nur der eine Sohn hatte bisher überlebt. Sie alle hatten die rohen Innereien von Rindern gegessen und Rinderblut getrunken wie andere Menschen Wasser. Nur der jüngste Sohn Martin hatte sich nicht infiziert. Doch es war dem Mann in der Kutte trotzdem mit zu hohem Risiko behaftet, ihn zu verspeisen oder sein Blut zu trinken. Abschliessend konnte er nicht wissen, ob Martin die Krankheit nicht doch auch in sich trug und sie auf ihn übertragen würde.
Also musste er sich ein anderes Opfer aussuchen. Aber wen? Auch wenn er die Aufmerksamkeit der Medien genoss, er musste höllisch aufpassen. Denn das Töten war ja, wie gesagt, verboten.
So war es ein erfreulicher Zufall gewesen, dass sich ein alter Schulfreund bei ihm gemeldet hatte. Der Anruf von Kusi kam überraschend, doch mehr als gelegen. Einst waren Kusi, Lukas Brennwald und er dicke Schulfreunde gewesen. Kusi hatte durch die Zeitung vom Tod von Lukas erfahren, und er hatte vorgeschlagen, sich wie in alten Zeiten auf dem Hof zu treffen. Was hätte er ihm denn sagen sollen? Hätte er ihn aufgeklärt, wäre Kusi nie zu ihm nach Hause gekommen und er hätte sich eine andere Beute suchen müssen. Nein, das wäre schön blöd gewesen von ihm, er hätte sich damit ins eigene Fleisch geschnitten.
Voller Dankbarkeit erinnerte er sich an seinen Schulfreund; kurz dachte er an die gemeinsame Jugendzeit, doch schnell schweiften seine Gedanken ab, hin zum letzten Wiedersehen. Er hatte Kusi wiedergesehen, nicht aber Kusi ihn. Wie ein Film lief es vor seinen Augen ab: wie er erst Kusi mit einem harten Schlag auf den Hinterkopf zu Fall gebracht hatte, ihn an seinen Füssen in den Schlachtraum gezogen und ihm die Kehle durchschnitten hatte, damit das Blut ausfliessen konnte. Er fing es in einer grossen Schale auf. Davon durfte kein Tropfen verloren gehen, das wäre ein herber Verlust gewesen. Bei wenigen Opfern trennte er den Kopf komplett ab, wie er es unter anderem beim Journalisten getan hatte. Meistens, wenn er seine Opfer nicht näher gekannt hatte. Von seinen Bekannten hob er gerne einige Körperteile als Andenken auf. Bei Kusi hatte er Augen, Oberlider und den Gehörgang entfernt. Diese legte er in den Kühler, so hatte er ein schönes Andenken an seinen Freund. Die Augen waren Öffner der Seele, und er war überzeugt, dass Kusi das so gewollt hätte. Dann hängte er den Leichnam am dafür bestimmten Haken auf, um ihm die Füsse abzutrennen und Bauch- und Brust-Organe zu
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