Fliedernächte: Roman (German Edition)
besorgen, denn die wurden allzu häufig als Souvenirs einfach mitgenommen.
Sie wollte gerade den Kühlschrank mit neuen Erfrischungsgetränken bestücken und eine Obstschale herrichten, als es an der Tür klingelte.
Wer mochte das sein? Lieferanten kamen um diese Zeit nicht, und die Gäste hatten ihres Wissens alle einen Schlüssel dabei. Vielleicht ein zufällig vorüberkommender Tourist, der sich das Hotel anschauen wollte, dachte sie und setzte ihr professionelles Lächeln auf.
Und dann traf sie beinahe der Schlag, als sie sah, wer draußen auf der Treppe stand.
Wie immer korrekt mit Anzug gekleidet, in einem sommerlichen Hellgrau, dazu eine modische Krawatte im gleichen Ton mit purpurroten Streifen, stand da der Mann, der einmal ihre Zukunft gewesen war.
Von der Sonne gebräunt, groß und schlank, ausnehmend elegant und verdammt attraktiv. Und doch so unwillkommen wie ein aufdringlicher Hausierer.
»Jonathan. Was tust du hier?«
»Hope.« Sein Lächeln war so unbekümmert und charmant, als hätte er sie nicht vor etwas über einem Jahr rücksichtslos abserviert. »Du siehst fantastisch aus. Neue Frisur? Steht dir hervorragend.«
Er streckte seine Arme nach ihr aus, aber sie wich zurück, bevor er auf Tuchfühlung gehen konnte. »Was willst du?«, fragte sie betont abweisend.
»Ich denke, du solltest mich zunächst einmal hereinbitten, das gebietet die Höflichkeit.« Er schaute sich geringschätzig um. »Und was ist das überhaupt für ein Hotel, bei dem die Tür am Tag verschlossen ist?«
»Ein kleines Haus, in dem man die Intimsphäre der Gäste wahrt. In dem nicht wildfremde Menschen ein und aus gehen können. Wir setzen auf Individualität und Exklusivität und nicht auf Masse.«
»Natürlich. Sieht von außen in der Tat wirklich reizend aus. Ich würde gerne mehr sehen, falls das möglich ist.« Er wartete einen Moment und lächelte gewinnend. »Schließlich bin ich gewissermaßen ein Kollege.«
Am liebsten hätte sie dem Kerl die Tür vor der Nase zugeworfen, doch sie wollte sich durch unbeherrschtes Verhalten keine Blöße geben. Nicht dass der Typ womöglich auf die Idee kam, sie würde nach wie vor unter der Trennung von ihm, dieser selbst ernannten Krone der Schöpfung, leiden.
Okay, machen wir also auf geschäftsmäßig und professionell, dachte sie.
»Die meisten Gästezimmer sind leider belegt oder sind noch nicht hergerichtet – ich könnte dir allerdings die anderen Räumlichkeiten zeigen.«
»Das wäre nett«, sagte er glatt.
Sie hatte keine Ahnung, was er mit seinem Besuch bezweckte. »Noch einmal, Jonathan, was machst du hier?«
»Ich wollte dich sehen. Und dir herzliche Grüße von meinen Eltern ausrichten.«
»Grüß sie zurück«, sagte sie knapp und atmete tief ein. Am besten sie zeigte diesem elenden Heuchler, was er sehen wollte, und dann aus den Augen, aus dem Sinn. »Das hier ist unser Empfangsbereich, wie du unschwer erkennst.«
»Kompliment. Klein, aber sehr gemütlich und vor allem geschmackvoll.«
»Darauf sind wir stolz.«
»Ist das noch der Originalbackstein?«
Sie blickte auf die unverputzte Wand. »Ja, und die alten Fotos zeigen dieses Haus und die Hauptstraße, wie sie früher einmal waren.«
»Hm, sehr schön. Und im Winter ist es sicher urgemütlich, vor dem großen Kamin zu sitzen.«
Obwohl er absolut nichts Falsches sagte, musste sie sich zwingen, sich ihre Abneigung nicht anmerken zu lassen. Denn ja, sie mochte es ihm nicht einmal gestatten, sich überhaupt über einen Ort zu äußern, der ihr Zuhause war. Sie wollte ihn völlig aus ihrem neuen Leben aussperren.
»Ja, unsere Gäste sitzen dort sehr gerne. Möchtest du unsere offene Küche sehen?« Sie ging voran und hoffte, die Rolle der gewandten Hotelmanagerin perfekt zu spielen. Wie früher, so wie er es von ihr kannte. »Die Gäste können sich dort einfach bedienen, auch zwischendurch. Das findet großen Anklang.«
Er musterte die modernen Lampen, die Geräte aus rostfreiem Stahl und die Arbeitsplatte aus Granit. »Und wie rechnet ihr ab?«
»Gar nicht. Snacks und Getränke sind im Übernachtungspreis inbegriffen. Weil wir möchten, dass unsere Gäste sich wie zu Hause fühlen. Zur Lobby geht es hier entlang.«
Bei ihrer Bürotür blieb er stehen, warf einen kurzen Blick hinein und lächelte sie erneut an. »Durchdacht und aufgeräumt wie eh und je. Du fehlst uns, Hope.«
»Ach ja?«
»Auf jeden Fall.«
Sie hätte ihm so einiges darauf antworten können. Allerdings nicht, ohne unhöflich
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