Fliedernächte: Roman (German Edition)
erklärte Casey. »Immer wenn wir ein paar Tage frei haben, suchen wir uns eine Unterkunft in einem interessanten alten Haus. Wie diesem hier.«
»Wir waren vor zwei Stunden auf der Veranda«, meinte Jake. »Und da habe ich mir eingebildet, sie zu sehen. Ganz kurz nur. Jung, in einem Kleid aus dem neunzehnten Jahrhundert.« Er schnipste mit den Fingern. »Und plötzlich war die Luft von einem süßlichen Duft erfüllt.«
»Leider konnte ich sie nicht sehen, wohl aber diesen Duft wahrnehmen. Sehr angenehm übrigens.«
»Heute Nacht ist sie echt fleißig«, murmelte Hope und spülte eine der kleinen Teekannen mit heißem Wasser aus.
»Sie wirkte in keiner Hinsicht bedrohlich oder Furcht einflößend. Für jemanden allerdings, der sich mit Geistern nicht auskennt, ist es vermutlich ganz normal loszuschreien, wenn jemand neben seinem Bett steht.«
»Also bitte.« Casey nahm Jake das Weinglas wieder ab. »Sie hat geschrien, als würde sie abgestochen.«
»Wenn sie das nicht getan hätte, wäre uns Bobs Anblick in Micky-Maus-Unterwäsche entgangen. Und das war ein echtes Highlight. Okay«, wandte sich Jake wieder an Hope, die ihm soeben ein eigenes Weinglas reichte. »Was wissen Sie über diesen Geist?«
Vielleicht lag es an der vorgerückten Stunde oder der entspannten Atmosphäre in der Küche, jedenfalls erzählte Hope den beiden von Lizzy. »Ihr Name war vermutlich Eliza Ford. Sie stammte aus New York und starb hier im September 1862. Das, was Sie gerochen haben, war Geißblatt. Offensichtlich ihr bevorzugter Duft.«
»Genau! Ich war mir nicht ganz sicher, was es war.« Jake sah sie grinsend an. »Geißblatt. Cool.«
»Wie ist sie gestorben?«, fragte Casey.
»An irgendeinem Fieber. Sie war jung und gehörte einer wohlhabenden Familie an. Wollte hier offenbar jemanden mit Namen Billy treffen oder finden. Und auf ihn wartet sie noch heute.«
»Wie traurig. Und zugleich so unglaublich romantisch. Und woher wissen Sie das?«
»Sie hat es uns erzählt«, erklärte Hope knapp und brühte den Tee für Mrs. Redman auf. »Sie ist wirklich wahnsinnig romantisch, amüsant und völlig harmlos. Außerdem bin ich entfernt mit ihr verwandt.«
»Sie machen Witze! Echt?«
»Das ist alles, was ich bislang über sie weiß. Jetzt muss ich zunächst schnell Mrs. Redman ihren Tee bringen.«
»Lassen Sie mich das machen.« Jake griff nach dem Tablett, auf dem die Kanne stand. »Eliza wäre besser in unser Zimmer gekommen. Im Gegensatz zu Mrs. Redman hätten wir ihren Besuch unterhaltsam gefunden.«
Genau das, dachte Hope, schien Lizzy allerdings nicht beabsichtigt zu haben.
Es wurde fast halb vier, bis endlich der letzte Gast wieder auf seinem Zimmer verschwand. Offenbar hatte der Whiskey im Tee die gewünschte Wirkung nicht verfehlt, zumal Jake den Redmans einen Zimmertausch anbot, sodass er und Casey den Rest der Nacht mit Lizzy verbrachten. Falls sie sich denn zeigte.
Auch Hope kehrte in ihre Wohnung zurück und stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »O Lizzy, was zum Teufel hast du dir nur dabei gedacht?« Sie gähnte ausgiebig und schlurfte in ihr Schlafzimmer. »Schön, ich weiß, was du beabsichtigt hast. Diese Frau ist unhöflich, undankbar und rundum ätzend, und du wolltest es ihr heimzahlen.«
Sie schloss ihr Handy ans Ladegerät, stellte vorsichtshalber ihren Wecker und legte sich ins Bett. »Und es hat anscheinend funktioniert, denn ich bin mir völlig sicher, dass die beiden morgen abreisen. Und weißt du was: Ich bin gottsfroh, wenn sie weg ist.«
Als sie das Licht ausschalten wollte, erstarrte ihre Hand mitten in der Bewegung. Weil sich der Geist zum ersten Mal vor ihren Augen materialisierte und plötzlich vor ihr stand. Lizzys blondes Haar war zu einem festen Knoten aufgesteckt, sie trug ein graues oder eher blaues Kleid mit einem weiten Glockenrock und sah Hope mit einem amüsierten Lächeln an.
»Auf Nimmerwiedersehen«, sagte sie.
»Du bist hier.«
»Wo sollte ich sonst sein? Schließlich kann ich nirgends anders hin. Aber es gefällt mir hier, vor allem seit du eingezogen bist.«
»Du musst mir mehr erzählen, damit ich diesen Billy für dich finden kann. Wir alle wollen ihn für dich suchen.«
»Er verblasst.« Lizzy drehte ihre Hände vor ihrem Gesicht, und Hope bemerkte, dass sie nicht mehr deutlich zu erkennen waren. »Genau wie ich. Nur die Liebe bleibt. Du kannst die Liebe finden – du bist meine Hoffnung. Hope, die Hoffnung.«
»Ich brauch seinen Namen. Den Rest seines
Weitere Kostenlose Bücher