Fliegende Fetzen
einen richtigen Platz in der Gemeinschaft der Wache gefunden. Dies lag keineswegs daran, daß er nicht mit anderen Personen zurechtkam. Das Problem bestand vielmehr darin, daß es ihm an sozialen Kontakten mangelte, denn er konnte anderen Leuten nur ab dem zweiten oder dritten Stock aufwärts begegnen. Er fühlte sich auf Dächern zu Hause. Bei der letzten Silvesterfeier der Wache war er heruntergekommen und hatte sich Bratensaft ins Ohr geschüttet, um guten Willen zu zeigen. Doch auf dem Boden, noch dazu von Zimmerwänden umgeben, werden Wasserspeier schnell nervös. Es dauerte nicht lange, bis Abfluß durch den Kamin davonkroch. Die ganze Nacht erklang von den schneebedeckten Dächern das melancholisch klingende Piepsen seiner kleinen Papiertröte.
Wasserspeier waren gute Beobachter und vergaßen nichts. Außerdem hatten sie jede Menge Geduld.
Mumm öffnete das Fenster. Mit ruckartigen Bewegungen kam Abfluß herein und kroch rasch zu einer Ecke von Mumms Schreibtisch – vielleicht gewährte ihm die dortige Perspektive ein wenig Trost.
Angua und Karotte betrachteten den Pfeil, den Abfluß in der einen Hand hielt.
»Ah, gute Arbeit«, lobte Mumm noch immer im gleichen ruhigen Tonfall. »Wo hast du ihn gefunden, Abfluß?«
Der Wasserspeier stotterte einige kehlig klingende Silben, die nur jemand bilden konnte, dessen Mund aus einem Rohr bestand.
»In einer Wand des zweiten Stocks eines Bekleidungsgeschäfts am Platz der Gebrochenen Monde«, übersetzte Karotte.
»Schk«, sagte Abfluß.
»Das ist nicht auf halbem Weg zum Hiergibt’salles-Platz, Herr Kommandeur.«
»Ja«, sagte Mumm. »Ein schwächlicher Mann, der versucht, die Sehne eines schweren Bogens nach hinten zu ziehen, wobei der Pfeil immer stärker wackelt… vielen Dank, Abfluß. In dieser Woche bekommst du eine zusätzliche Taube.«
»Nke«, erwiderte Obergefreiter Abfluß und kletterte wieder aus dem Fenster.
»Wenn du gestattest, Herr Kommandeur…« Angua nahm den Pfeil von Mumm entgegen, schloß die Augen und schnupperte vorsichtig daran.
»Ja«, sagte sie. »Er riecht ganz deutlich nach Ostie…«
»Danke, Korporal. Es gibt also nicht den geringsten Zweifel.«
Karotte griff nach dem Pfeil und betrachtete ihn. »Hm. Pfauenfedern und eine versilberte Spitze. So etwas kaufen Amateure, um ihre Treffsicherheit durch Magie zu verbessern. Wie dumm.«
»Ja«, sagte Mumm. »Du, Karotte, und du, Angua… ihr kümmert euch um diesen Fall.«
»Ich verstehe nicht, Herr Kommandeur«, entgegnete Karotte. »Du hast doch Fred und Nobby mit den Ermittlungen beauftragt, oder?«
»Ja«, bestätigte Mumm.
»Aber…«
»Feldwebel Colon und Korporal Nobbs gehen der Frage nach, warum der verstorbene Ostie versucht hat, den Prinzen umzubringen. Und wißt ihr, was? Bestimmt finden sie viele Spuren. Da bin ich mir
ganz
sicher. Ich
fühle
es.«
»Aber wir wissen doch, daß Ostie
unmöglich…
«, begann Karotte.
»Ist das nicht komisch?« unterbrach Mumm den Hauptmann. »Ihr solltet vermeiden, Fred irgendwie in die Quere zu kommen. Fragt ein wenig herum. Versucht es beim Schuldigen Schuft oder bei Sidney Schief, ha, der hält die Ohren offen. Oder sprecht mit den Schmerzlichen Schwestern oder mit Lilly Habspaß. Oder mit Herrn Rutschig… hab ihn schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen…«
»Er ist tot, Herr Kommandeur«, sagte Karotte.
»Was, Riecher Rutschig? Seit wann?«
»Seit letzten Monat, Herr Kommandeur. Er wurde von einem herabfallenden Bettgestell erschlagen. Ein sehr seltsamer Unfall.«
»Warum hat mir niemand etwas davon gesagt?«
»Du bist sehr beschäftigt gewesen, Herr Kommandeur. Aber du hast Geld in den Umschlag gesteckt, mit dem Fred gesammelt hat. Zehn Dollar. Fred fand das sehr großzügig.«
Mumm seufzte. Oh, ja, die Umschläge. Seit einiger Zeit schien Fred dauernd mit dem einen oder anderen Umschlag unterwegs zu sein. Immer wieder geschah es, daß jemand die Wache verließ, oder ein Freund der Wache geriet in Schwierigkeiten, oder es gab eine Verlosung, oder die Teekasse war wieder leer. Manchmal schienen die Erklärungen recht kompliziert zu sein. Mumm beschränkte sich darauf, einfach Geld in den jeweiligen Umschlag zu stecken, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. So war es am einfachsten.
Der alte Riecher Rutschig…
»Ihr hättet mich darauf hinweisen sollen«, sagte er in vorwurfsvollem Tonfall.
»Du hast hart gearbeitet, Herr Kommandeur.«
»Gibt es sonst noch Neuigkeiten von der Straße, über die ich
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