Florian auf Geisterreise
kommt.
Soviel hatte er bei seiner Tante schon gelernt und mit Agathe, ihrer Haushaltshilfe, ausprobiert. Senden und empfangen ohne technische Hilfsmittel.
Jetzt spürte er etwas. In der Magengegend. Das mußte es sein! Mensch ist das aufregend!
Zweifellos war das Madame Thekla, wie die Klienten sie nannten. Irgend etwas wollte sie ihm mitteilen. Aber was? Florian fühlte ein merkwürdiges Ziehen, eine Art Sog. Sollte er zu ihr fahren? Lenkte sie ihn fern?
Er überlegte. Vierzig Kilometer waren es bis zur Pension Schicksal, draußen am Grenzwald, und eben hatte es vierzehn Uhr geschlagen. Zum Abendessen könnte er zurück sein. Früher würden die Eltern auch nicht heimkommen.
Der Sog wurde immer unwiderstehlicher. Zwar sollte Florian keinesfalls zu Tante Thekla, andererseits wollte er sich aber darüber klar werden, weshalb ihm bei Familienfesten immer schlecht wurde. Hundertprozentig wußte das nur die Tante. Also mußte er hinausfahren. Unbedingt!
Er schrieb einen Zettel, den er im Wohnzimmer auf den Tisch legte.
Der größte Gang war ihm gerade recht, um so schnell wie möglich hinzukommen. Bis zur Abzweigung in den Wald — das waren gut drei Viertel der Strecke — mußte er auf der Hauptverkehrsstraße fahren. Ob seine Tante überhaupt Zeit für ihn haben würde? Ihre medialen Fähigkeiten, die Zukunft und die Vergangenheit zu sehen, waren weithin berühmt. Die Kunden wohnten immer für drei, vier Tage in der Pension Schicksal, denn man vergißt immer etwas, oder es ergeben sich aus den Antworten der Hellseherin neue Fragen.
Wenn sie mich ferngelenkt hat, dann hat sie auch Zeit! tröstete sich Florian. Sicher würden wieder Kunden vor dem Haus sitzen und dummes Zeug reden, wenn er kam: Na Kleiner, willst du auch schon deine Zukunft wissen? So in dieser Art. Doch das störte ihn nicht. Ihn beschäftigte vielmehr die Frage: Wie komme ich an August vorbei?
Er war Tantes Hausmeister und verteilte die Termine. Wer ihn mit einer Flasche Schnaps bestach, kam sofort dran. Doch Agathe würde ihm bestimmt helfen. Schon auf halbem Weg stand sein Plan fest. Er würde sagen: Tante, bitte steuere meine Eltern fern, daß sie mir erlauben, die Ferien bei dir zu verbringen! Alle meine Freunde sind verreist. Für dich ist das doch eine Kleinigkeit! Da hätte ich schon viel früher draufkommen können! warf er sich vor.
Beim Abbiegen von der Hauptstraße in den Waldweg wurde er übermäßig durchgeschüttelt. Ein Blick nach hinten genügte — Plattfuß. Und noch fast zehn Kilometer.
Mit dem linken Fuß stieg er auf das rechte Pedal und fuhr wie mit einem Roller weiter. Sollte der Vorderradreifen auch noch platzen — jetzt würde ihn nichts mehr aufhalten. Der Sog war stärker als ein Elektromagnet.
Im Skilanglauftempo erreichte er die Waldlichtung. Unter Sonnenschirmen saßen Gäste und machten die erwarteten, unnötigen Bemerkungen. Dann kam alles anders.
August war kein Hindernis. Er befand sich im Hühnerstall. Agathe klapperte in der Küche.
Florian nahm die fünf Steinstufen vor dem Haus mit einem Satz und stand in der Diele. An Tante Theklas Tür hing, wie meistens, das Schild: Bitte nicht stören!
Da hörte er ihre Stimme: „Komm mal rein, Flori !“
Ferngelenkt! Hab ich’s doch gewußt! freute er sich. Ein vorsichtiger Blick, direkt in die grünen Augen.
Die Hellseherin war allein. Sie saß in ihrem Sessel, neben sich den Tisch mit der Geldkassette und der Kugel aus Bergkristall, mit der sie sich konzentrierte.
„Solltest du nicht auf der goldenen Hochzeit sein?“ fragte sie ihn.
Florian gab ihr die Hand und lachte. „Tu nicht so scheinheilig, Tante Thekla! Du hast mich doch weggeholt. Telepathisch! Wofür ich dir sehr dankbar bin…“
„Ich werde mich hüten!“ antwortete sie. „Ich habe brieflich gratuliert. Und das war schon zuviel.“
„Aber Tante!“ Florian setzte sich auf den Besucherstuhl. „Ich hab’s deutlich gespürt. Einen unheimlichen Sog...“
„Weil du weg wolltest!“ Belustigt musterten ihn die grünen Augen. „Da ist die Parapsychologie immer eine beliebte Entschuldigung.“
„Nicht bei mir!“ Energisch winkte er ab. „Ich bin ja medial begabt. Hast du selbst gesagt!“
„Vorsicht! Vorsicht!“ Die Tante legte die Fingerkuppen an die Schläfen und starrte auf den Bergkristall. „So ist das!“ meinte sie nach einer Weile. „Dir wird bei Familienfeiern immer schlecht. Weil du dich überfrißt ! Das ist der ganze Grund. Du hast eine sehr rege Phantasie,
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